Am Start der Streif ist selbst Aksel Lund Svindal immer noch nervös.

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STANDARD: Sie haben in dieser Saison sechs von acht Speedrennen gewonnen, erstmals auch die Abfahrt in Wengen. Ist da die Redewendung 'Wenn's läuft, dann läuft's' angebracht?

Svindal: Das ist schon so. Wenn man optimal vorbereitet ist, viel trainiert hat, das Material sehr, sehr gut ist, muss man die Gelegenheit nützen und probieren, so viele starke Rennen wie möglich zu fahren.

STANDARD: Was braucht es zum Siegläufer?

Svindal: Sehr gutes Material, Erfahrung und gute Form. Gerade in Kitzbühel gibt es alles, was das Rennfahrerherz begehrt. Oben ist es steil, dann gibt es große Sprünge, Gleitpassagen, schöne Kurven, unten wird es dann noch einmal richtig steil. Generell ist auch die Psyche für einen Abfahrer sehr wichtig, damit man am Renntag das Letzte herausholen kann. Glück spielt hoffentlich kaum eine Rolle, weil es sich nicht kontrollieren lässt.

STANDARD: Sie haben 2013 den Super G in Kitzbühel gewonnen. Wie gewinnt man die Abfahrt?

Svindal: Gut von oben bis unten fahren, keinen Fehler machen. Aber es ist nie einfach zu gewinnen. Man muss vielleicht kein Glück haben, aber du darfst vor allem kein Pech haben. Für das sind die anderen zu gut. Du musst richtig Gas geben und einen sauberen Lauf hinlegen. Das ist weder einfach noch selbstverständlich.

STANDARD: Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Premiere auf der Streif im Jahr 2003?

Svindal: Ich war so nervös, weil ich praktisch keine Speederfahrung hatte. Dann kam der erste Weltcup-Riesentorlauf in Val d'Isère, da wurde ich 23. Wenige Tage später bin ich in Gröden im ersten Weltcup-Super-G Sechster geworden. Dann hat es geheißen, ich muss auch in Kitzbühel Super G und Abfahrt fahren, weil ich plötzlich in den Top 30 war.

STANDARD: Wurde Ihnen auch geraten, in Kitzbühel nicht zu viele Sachen auszupacken, damit Ihr Zimmerkollege, falls Sie stürzen, nicht so viel für Sie einpacken muss?

Svindal: Nein, solche Geschichten hat man mir nicht erzählt. Mir hat Kjetil André Aamodt gesagt, dass er beim ersten Mal total cool war, bis er die Besichtigung gemacht hat. Dann war er brutal nervös. Für mich war es umgekehrt, nach der Besichtigung war es besser. Ich hatte das Gefühl, das alles zu schaffen. 2004 waren aber zum Beispiel die Bedingungen brutal schwierig. Der Sprung bei der Mausefalle ist sehr weit gegangen, viele sind gestürzt. Ich komme schon viele Jahre hierher, aber ich bin immer noch nervös beim Start. Die ersten Jahre hatte ich auch Angst, aber sie ist Teil der Abfahrt, damit muss man umzugehen lernen.

STANDARD: Die norwegischen Herren räumen aktuell fast alles ab. Das kann kein Zufall sein?

Svindal: Ist es auch nicht. Logisch schaut es diese Saison ein bissl extrem aus, weil vieles zusammenkommt. Ich bin wieder zurück nach meiner Verletzung, Kjetil Jansrud ist wieder so gut wie voriges Jahr, Henrik Kristoffersen wird besser und besser. Es ist das Ergebnis harter Arbeit über mehrere Jahre. Sie war zwar immer schon sehr gut, aber jetzt ist sie noch viel professioneller. Und auch die jungen Athleten, die in die Mannschaft kommen, arbeiten härter, als es früher der Fall war.

STANDARD: Der Steirer Christian Mitter ist Chefcoach des Herrenteams. Was zeichnet ihn aus?

Svindal: Er ist ein guter Organisator, aber vor allem ein guter Trainer, er hat ein gutes Auge für die Technik. Er schaut sich jeden Zentimeter genau an und gibt gutes Feedback. Er ist ein extrem harter Arbeiter, er lebt für den Skisport. Seine Meinungen hat Gewicht. Er ist ein Trainer, der die Wahrheit sagt, damit hat er kein Problem. Wenn du schlecht fährst, kriegst du das sofort zu hören. Das finde ich wichtig. Als Trainer darf man nicht zu viel Respekt vor erfahrenen Athleten haben.

STANDARD: Das norwegische Team ist traditionell ein eher leicht überschaubares, trotzdem war und ist es immer wieder sehr erfolgreich. Was sind die Gründe dafür?

Svindal: Wir sind ein kompaktes Team, die Stimmung ist immer sehr gut. Und wenn man Spaß hat im Team, dann ist man auch gerne länger unterwegs und kann viel trainieren. Das ist ein wichtiger Punkt. Wenn wir fünf Wochen in Chile sind, dann gibt es kein Problem, weil wir als gute Freunde gemeinsam unterwegs sind.

STANDARD: Weitere Argumente?

Svindal: Ich habe viel von Lasse Kjus und Aamodt gelernt, später hat dann Jansrud davon profitiert, dass ich einen Vorsprung hatte. Und jetzt wird es Aleksander Kilde weiterhelfen, dass wir sehr viel mit ihm zusammen sind.

STANDARD: Haben Sie den Eindruck, dass es bei anderen Teams mehr auf ihre eigene Leistung fokussierte Einzelkämpfer gibt?

Svindal: Das weiß ich nicht, aber ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es überhaupt keinen Spaß macht, wenn man allein ist. Als Jansrud verletzt war, hatte ich darunter zu leiden. Andererseits ist es in einer großen Mannschaft sicherlich schwierig, weil es auch intern viel mehr Konkurrenz gibt.

STANDARD: Sie fahren mittlerweile Ihre 13. komplette Weltcupsaison. Welche Komponente ist im Laufe der Saison anstrengender, die psychische oder die physische?

Svindal: Das hängt zusammen, aber ich glaube fast, die psychische. Es kostet viel, fast jeden Tag die Kraft zu sammeln.

STANDARD: Nach der Abfahrt in Santa Caterina sprach Hannes Reichelt von 'Raubbau am Körper'. Wird den Abfahrern manchmal zu viel abverlangt?

Svindal: Ja schon, aber man muss auch bedenken, dass wir unseren Sport im Freien und in den Bergen ausüben und es nicht immer einfach ist, die Strecke perfekt zu präparieren. Teilweise gibt es schon Rennen, die am Limit sind.

STANDARD: Die vergangene Saison mussten Sie wegen des Achillessehnenrisses fast komplett auslassen. War die Auszeit wichtig, um gestärkt zurückzukommen?

Svindal: Ich war zwar verletzt, habe aber viele coole Sachen gemacht. Ich habe die Zeit genützt, mir andere Dinge anzuschauen. Dadurch habe ich eine gewisse Ruhe gefunden. Mental hat mir das sicher einen Schub gegeben.

STANDARD: Was machen Sie, wenn Sie nicht auf Skiern stehen?

Svindal: Dann bin ich froh, dass es mal ruhig ist. Ich unterhalte mich auch gerne mit Leuten, nicht nur über Skifahren und Sport. Ich bin eigentlich ganz normal. Wenn ich im Sommer mit Familie und Freunden zu Hause in Oslo bin, dann trainiere ich zwar schon viel, aber sonst gehen wir hier einen Kaffee trinken, dort irgendetwas anderes machen. Außer Windsurfen und Wellenreiten betreibe ich aber sonst kaum Sport. (Thomas Hirner, 20.1.2016)