Die Diskussion über Obergrenzen müsse "ein für alle Mal" beendet werden, sagt Wiens Finanzstadträtin Renate Brauner.

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Noch am Mittwoch hatte Bürgermeister Michael Häupl (2. v. li.) gemeinsam mit Kanzler Werner Faymann (re.) die Zahlen für die Obergrenze präsentiert.

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Wien – Die Wiener SPÖ-Stadträtin Sonja Wehsely hat erneut die von der Regierung beschlossene Flüchtlingsobergrenze kritisiert und eine Klarstellung von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) gefordert. Es sei unklar, wie sich die Regierung die Umsetzung der Obergrenze vorstelle, sagte Wehsely am Donnerstag.

Beim Asylgipfel am Mittwoch wurde beschlossen, dass 2016 nur 37.500 Asylwerber einreisen sollen. 2017 soll die Zahl auf 35.000 schrumpfen, 2018 auf 30.000, und im Jahr 2019 sollen es dann nur mehr 25.000 Schutzsuchende sein. Das entspricht rund 1,5 Prozent der Bevölkerung.

Wehsely: Obergrenze nicht umsetzbar

"Ich schlage vor, dass jene – wie die Innenministerin, die dem ausgewichen ist – hier Zahlen nennen und den zweiten Teil des Satzes, der nach dem Beistrich kommt, auch aussprechen. Denn was ist mit dem 37.501. Menschen, der an der Grenze steht?", sagte Wehsely bei einer Rede zur Eröffnung einer von André Heller organisierten internationalen Konferenz der Bürgermeister. Die Obergrenze sei nicht umsetzbar, so Wehsely. "Ich denke, die Lösung kann nur vielfältig und kompliziert sein."

Mikl-Leitner will sich an Schweden orientieren

Die Innenministerin selbst drängt auf die Einhaltung der vereinbarten Obergrenze. "Wir erreichen mit unserem Beschluss das, was wir wollen: einen Dominoeffekt, den wir uns erhofft und erwartet haben", sagte sie am Donnerstag. In der Flüchtlingspolitik gebe es eine "Schubumkehr". "Wir brauchen eine Politik der Vernunft, weg von der grenzenlosen Willkommenskultur." Die härtere Gangart in Europa sei "für jeden vernünftigen Menschen" absehbar gewesen. Bei der Umsetzung der Maßnahmen müsse man "streng, fair und vernünftig" sein.

Für die Innenministerin liegen derzeit zwei Möglichkeiten auf dem Tisch, wie man mit einer Obergrenze umgehen könnte: Eine orientiere sich an Schweden, wo Anträge zwar angenommen, aber auf Jahre nicht bearbeitet würden. Das würde auch einen Familiennachzug auf lange Zeit verhindern. In Schweden habe diese Maßnahme zu einem "massiven Rückgang" der Anträge geführt. Eine zweite Möglichkeit werde derzeit in Österreich geprüft, nämlich die Abweisung von Asylwerbern an der Grenze und deren Zurückweisung in sichere Nachbarstaaten.

Zuvor hatte Wehsely die Einigung beim Asylgipfel auf Facebook massiv kritisiert. Das könne "nicht der Weg der SPÖ sein". Eine Obergrenze stehe dem Menschenrecht auf Asyl diametral entgegen.

Auch Wiens Finanzstadträtin Renate Brauner (SPÖ) stellte via Twitter klar, dass die Stadtpartei Obergrenzen für Flüchtlinge nicht nur für falsch, sondern auch für rechtswidrig halte.

Die Rechtsprüfung habe man in das Papier des Gipfels integriert, "um dies ein für alle Mal festzustellen und damit die Diskussion zu Obergrenzen zu beenden".

Die Kritik der Stadträtinnen ist auch deswegen brisant, weil Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) nicht nur an dem Gipfel, sondern auch an der anschließenden Pressekonferenz teilnahm, bei der die Ergebnisse präsentiert wurden.

Faymann: Zahl 37.500 ist "Richtwert"

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) bekräftigte am Donnerstag, dass es sich bei der Zahl von 37.500 Flüchtlingen in diesem Jahr aus seiner Sicht um einen Richtwert handle. Zu den Konsequenzen eines Überschreitens verwies er am Rande des Untersuchungsausschusses darauf, dass man Gutachten von zwei Sachverständigen beauftragt habe. Diese sollen bis Mitte oder Ende März vorliegen, sagte Faymanns Sprecherin.

Der designierten Verteidigungsministers Hans Peter Doskozil (SPÖ) verwies in der "ZiB 2" am Mittwoch mehrfach darauf, dass die Verfassungsrechtler in einigen Wochen sagen könnten, wie man bezüglich der Richtgröße agieren könne. Klar ist für ihn, dass jemand, der über dem Richtwert liegt, in Österreich sehr wohl einreisen könne. "Dann überlegt man, wie geht man mit ihm um."

Doskozil: Auch 37.501. Flüchtling wird einreisen können

Im Ö1-"Morgenjournal" sagte Doskozil am Donnerstag: "Ich hänge nicht an der Zahl 37.500, für mich ist das ein Richtwert." Er gehe davon aus, dass auch der 37.501. Flüchtling einreisen könne. Das entspreche der geltenden Rechtslage. "Wenn er einen Asylantrag stellt, dann darf er nicht zurückgewiesen werden." Österreich werde sich bemühen, die Zahl zu erreichen, "aber ich kann Ihnen nicht sagen, ob diese Bemühungen ausreichen werden".

Der ÖVP gefallen Doskozils Aussagen nicht. Generalsekretär Peter McDonald warnte die SPÖ vor einer Verunsicherung der Bevölkerung nach dem Asylgipfel. "Die politische Entscheidung ist getroffen", sagte er angesichts der Äußerungen Doskozils. Das gemeinsame Ziel sei, den weiteren Zuzug nach Österreich einzudämmen. "Gerade was das Flüchtlingsthema betrifft, erwartet sich die Bevölkerung eine klare gemeinsame Antwort."

Steiermark: Schickhofer skeptisch

Der steirische LHStv. Michael Schickhofer (SPÖ) sieht die Einführung einer Obergrenze für Flüchtlinge skeptisch. Mit der Obergrenze habe sich die Bundesregierung selbst gebunden und das sei zu akzeptieren. Er erwarte sich jetzt aber, dass das, was man sich als Ziel gesetzt hat, auch umgesetzt wird, so Schickhofer. Zudem forderte er einen weiteren Grenzübergang für Flüchtlinge in Österreich.

Auch er bezweifelt, dass eine Obergrenze rechtlich überhaupt durchsetzbar ist. Dass es in diesem Jahr bei 37.500 Flüchtlingen bleiben werde, die in Österreich Asyl beantragen und aufgenommen werden, hält der Landesrat für unrealistisch: Die Steiermark werde "auf größere Zahlen" vorbereitet sein müssen, dann werde man die Lage neu bewerten und danach handeln: "Wir können nicht auf die Flüchtlinge schießen oder sie am Grenzzaun festhalten. Es gibt Menschenrechte und eine Flüchtlingskonvention", betonte Schickhofer.

Vorarlberger SPÖ: Obergrenze wird nicht funktionieren

Neben der Wiener stellt sich auch die Vorarlberger SPÖ gegen die Obergrenze. Landesparteichef Michael Ritsch sprach auf vol.at von einer "Augenauswischerei" und einer "Pille, um die Bevölkerung ruhigzustellen". Auch wenn es unangenehm klinge, diese Vereinbarung werde nicht funktionieren: "Wenn nach 37.500 Flüchtlingen eine Familie an der Grenze steht, die vor Krieg flüchtet, wird man diese nicht abweisen können – man wird ihr helfen müssen."

Salzburger SPÖ-Chef: Obergrenzen sind "Unfug"

Auch der Salzburger SPÖ-Chef Walter Steidl nannte die Einführung von Obergrenzen am Donnerstag einen Unfug. "Die Realität wird uns schneller einholen, als wir uns das denken. Richtwerte sind schön und gut, aber es ist noch völlig unklar, was passiert, wenn heuer der 37.501. Flüchtling an der Grenze steht." Trotzdem dürfe man nicht jeden Flüchtling ungeniert und unkontrolliert ins Land lassen. Zugleich forderte Steidl schnellere Asylverfahren und einen europäischen Ausgleich: "Die EU muss endlich aufwachen."

Die oberösterreichische SPÖ sieht die Obergrenze skeptisch, wie Landesgeschäftsführer Peter Binder sagte – sowohl was die Durchsetzbarkeit angehe als auch hinsichtlich der erhofften Auswirkung auf die Aufnahmewilligkeit anderer EU-Länder. Man könne die 37.500 lediglich als "Richtwert" nehmen.

Für den Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) wird das Pferd in der Flüchtlingsdebatte von hinten aufgezäumt. Anstatt sich jetzt in nebulosen Wortklaubereien und Diskussionen zu verzetteln, müssen alle Verantwortlichen alles unternehmen, um die gemeinsam fixierten Maßnahmen zur Reduktion der Flüchtlingszahlen umzusetzen. Er sei kein Freund von festgelegten Limitierungen.

Tiroler SPÖ kann mit Obergrenze leben

Tirols SPÖ-Chef Ingo Mayr kann mit einer Obergrenze leben. Er habe zwar keine Freude damit, "aber diese unpopuläre Maßnahme ist notwendig, um europaweit ein Zeichen zu setzen". Die niederösterreichische SPÖ begrüßte das Ergebnis des Aslygipfels. "Bei Wirtschaftsflüchtlingen und Migranten müssen Richtwerte festgelegt werden, die auch die Möglichkeiten eines Landes, etwa beim Angebot an Wohnungen oder Arbeitsplätzen, berücksichtigen", sagte Landesgeschäftsführer Robert Laimer.

Sozialistische Jugend gegen Obergrenze

Die Chefin der Jungen Generation der SPÖ, Nationalratsabgeordnete Katharina Kucharowits, wiederum schrieb auf Facebook: "Es wird und kann keine begrenzte Anzahl von Menschen geben, denn diese ist doch rechtlich nicht zulässig." Auch die Sozialistische Jugend lehnt die Obergrenze ab.

Der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler (SPÖ) forderte am Donnerstag die Rückkehr Österreichs zu einer aktiven Friedenspolitik, um die Fluchtursachen zu bekämpfen. Eine Obergrenze werfe die völlig falsche Fragestellung auf – "wie man das Land vor Geflüchteten schützen kann". Es müsse vielmehr gefragt werden, unter welchen Bedingungen der Welthandel stattfinde, welche Entwicklungspolitik gemacht werde und wie die Politik in den betroffenen Regionen gestaltet werde.

Verständnis von Fischer

Bundespräsident Heinz Fischer bekundete gewisses Verständnis dafür, dass sich Bund und Länder auf Flüchtlingsobergrenzen verständigt haben. Man müsse sehen, dass "Deutschland und Österreich an der Grenze der Belastbarkeit sind", sagte er zu Journalisten bei seinem Besuch in Tunesien.

Die Regierung bemühe sich um ein Paket an Maßnahmen, um Flüchtlinge besser zu verteilen und zu sehen, dass "die Zahl in vertretbaren Grenzen bleibt". Zu den Obergrenzen direkt äußerte er sich vage. Das "Asyl als Menschenrecht" wolle er "natürlich nicht infrage stellen", antworte er auf die Frage eines tunesischen Journalisten: "Aber wir müssen ein Handling finden, damit es gerechter verteilt wird."(APA, red, 21.1.2016)