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Die verhinderte El-Al-Entführerin Leila Khaled mit Yassir Arafat auf einem Propagandawandbild in Ramallah.

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Faruk Kaddoumi handelte mit dem Schweizer Außenminister Pierre Graber das geheime Stillhalteabkommen aus.

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In der Schweiz ist mehr als 45 Jahre nach einer Terrorserie durch militante Palästinenser eine Debatte über die Aufarbeitung der Verbrechen entbrannt. Die Untersuchung eines Bombenanschlags auf eine Swissair-Maschine im Jahr 1970 könnte wiederaufgenommen werden.

Wie die "Neue Zürcher Zeitung" berichtete, schloss im Jahr 1970 der Schweizer Bundesrat und Außenminister Pierre Graber in der Folge ein geheimes Stillhalteabkommen mit Vertretern der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Das mit Handschlag besiegelte Abkommen beinhaltete das Versprechen der Palästinenser, die Schweiz künftig mit Terroranschlägen zu verschonen, dafür sagten die Schweizer zu, die PLO bei der Uno im Streben nach diplomatischer Anerkennung zu unterstützen.

Flugzeugentführungen im "Schwarzen September"

Am 6. September 1970 entführen Terroristen der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) zeitgleich drei Passagierflugzeuge der Swissair, der US-amerikanischen TWA und der britischen BOAC. Eine vierte Kaperung eines El-Al-Flugs wird von den Passagieren, einem Mossad-Agenten und dem Piloten beendet, ein Entführer stirbt, seine Komplizin, die spätere palästinensische Terrorikone Leila Khaled, wird verhaftet.

Die Flugzeuge müssen auf einem Flugfeld bei Zarqa in der Wüste im Norden von Jordanien landen. In den folgenden Tagen kommen die meisten als Geiseln genommenen Passagiere und Crewmitglieder frei, die Maschinen werden schließlich am 12. September von den Palästinensern gesprengt. Am 21. September befreit eine jordanische Spezialeinheit die letzten 18 Geiseln aus einem Haus in der Hauptstadt Amman. Der Krieg zwischen den Palästinensern und der jordanischen Armee geht als "Schwarzer September" in die Geschichte ein.

Freipressung von Terroristen

Ziel der Flugzeugentführungen war die Freipressung von inhaftierten Terroristen, unter anderem den Attentätern von Kloten. Auf dem Zürcher Flughafen hatten am 18. Februar 1969 vier PFLP-Mitglieder mit Kalaschnikows das Feuer auf eine Boeing der israelischen Fluglinie El-Al eröffnet. Mehrere Crewmitglieder wurden verletzt, der Co-Pilot starb an seinen Verletzungen. Ein an Bord befindlicher Mossad-Mitarbeiter erschoss einen der Angreifer, die übrigen drei wurden in der Schweiz vor Gericht gestellt und verurteilt.

Obwohl die Geiselnahme zu diesem Zeitpunkt längst beendet ist, werden die drei verurteilten Kloten-Attentäter Mohamed el-Heiga, Amena Dahbour und Ibrahim Yousef am 1. Oktober 1970 aus ihren Gefängniszellen geholt und in Zürich in ein Flugzeug der Royal Air Force gesetzt, in dem sich bereits die verhinderte El-Al-Entführerin Khaled und drei andere in Deutschland festgehaltene Terroristen befinden. Sie werden nach Kairo ausgeflogen. Offensichtlich sind die Regierungen in Bern, Bonn und London bemüht, die palästinensischen Terroristen in der Hoffnung auf ein Ende der Flugzeugentführungen und Anschläge zu beschwichtigen.

Ein Kalkül, das nicht aufging – ganz im Gegenteil, wie die Terrorserie der folgenden Jahre unter anderem mit dem Anschlag auf die Olympischen Spiele in München durch die Terrorgruppe "Schwarzer September" und die Flugzeugentführungen von Entebbe und der "Landshut" noch beweisen würden.

Größtes Verbrechen ungesühnt

Den Flugzeugentführungen von Zarqa war auch ein Anschlag vorangegangen, der bis heute als das größte Verbrechen der Schweizer Nachkriegsgeschichte gilt und trotzdem niemals strafrechtlich geahndet wurde.

Am 21. Februar 1970 stürzt der Swissair-Linienflug 330 von Zürich nach Tel Aviv nach einer Explosion im Laderaum ab. Neun Minuten nach dem Start detoniert eine Paketbombe, als die Convair CV-990 Coronado nach dem Steigflug auf Kurs geht. Der Pilot meldet den Zwischenfall per Funk und kehrt um. Er fordert, dass die Polizei zum Flughafen kommen soll, geht also selbst von einem Verbrechen und keinem technischen Problem aus. An Bord breitet sich ein Feuer aus, dichter Rauch macht es den Piloten unmöglich, die Instrumente zu sehen. Um 13.34 Uhr meldet sich der Co-Pilot Armand Etienne zum letzten Mal: "330 is crashing." Nach den Worten "Goodbye everybody" reißt die Verbindung ab. Das Flugzeug stürzt in einen Wald bei Würenlingen – 900 Meter neben dem Atomkraftwerk Beznau.

Die letzten Funksprüche aus dem Cockpit von Flug 330.
Gian Brechbühler

47 Tote

Alle 38 Passagiere und neun Besatzungsmitglieder kommen bei dem Absturz ums Leben. Der Bombenanschlag war eigentlich gegen einen El-Al-Flug gerichtet, doch das Paket wurde wegen einer Verspätung auf den Swissair-Flug umgeleitet. Am selben Tag explodiert auch in einem Austrian-Airlines-Flieger von Frankfurt nach Wien eine Bombe. Der Sprengsatz im Frachtraum reißt ein Loch in die Außenhaut, der Pilot kann die Caravelle jedoch zum Startflughafen zurücksteuern und sicher landen. Die 38 Menschen an Bord überstehen den Anschlag unverletzt.

SRF-Beitrag vom 21. Februar 1995 über den Absturz von Würenlingen.
SRF Archiv

Das Paket mit der vier Kilogramm schweren Bombe soll in München von dem Palästinenser Sufian Radi Kaddoumi aufgegeben worden sein. Er verließ noch am selben Tag Europa Richtung Jordanien. In einem 20 Tage nach dem Absturz gegebenen Interview stritt Kaddoumi eine Beteiligung an dem Anschlag ab. Trotz Haftbefehls wurde er nie verfolgt.

Kuhhandel

Den Kontakt zwischen der PLO und der Schweizer Regierung hatte Pierre Grabers SP-Parteikollege Jean Ziegler im September 1970 hergestellt. Graber hatte den Deal mit seinem PLO-Gegenüber, dem "Außenminister" Faruk Kaddoumi, ausgemacht. Der Namensvetter des mutmaßlichen Attentäters soll im selben Dorf aufgewachsen sein, es wird vermutet, dass es sich dabei sogar um seinen Bruder handeln könnte.

Ziegler sagt heute, er habe "in guter Absicht gehandelt". Es sei angesichts des bewaffneten Kampfes der palästinensischen Kommandogruppen nicht empfehlenswert gewesen, strafrechtlich gegen ihre Mitglieder vorzugehen. In Wirklichkeit machte sich die Schweiz damit jedoch von den Palästinensern erpressbar.

Bilder vom Absturzort mit einem Augenzeugenbericht.
Angelinamy22

Über den Absturz von Würenlingen wurde ein Mantel des Schweigens gebreitet. Der Bombenanschlag verjährte nach Schweizer Recht 1990, 20 Jahre später. 1995 wollte die Bundesanwältin Carla del Ponte den Fall erneut aufrollen. In den Akten war ein Hinweis aufgetaucht, dass zwei Tage nach dem Absturz in einem Telefonanruf von der PFLP mit weiteren Anschlägen gedroht wurde, sollten die Attentäter von Kloten nicht freigelassen werden. Das Schweizer Strafgesetzbuch ermöglicht die Einstufung eines Verbrechens als unverjährbar, wenn eine Erpressung der Behörden vorliegt. Im Jahr 2000, del Ponte war bereits am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag engagiert, wurden die Ermittlungen endgültig eingestellt. Der mutmaßliche Attentäter Kaddoumi soll 1996 gestorben sein. (Michael Vosatka, 23.1.2016)