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Experten raten zu einer gesunden Selbsteinschätzung für Ballett-Neulinge: Spitzentanz wird für die meisten wohl nicht mehr drin sein.

Foto: REUTERS/Kieran Doherty

Wien – So wie im Film sieht Ballettunterricht im Fitnessstudio nicht aus: Stangen, an denen Ballerinas üben, gibt es keine. In Tutu und Spitzenschuhen ist auch niemand erschienen. Die überwiegend jungen Frauen, die heute auf ihrer Yogamatte stehen, tragen stattdessen Leggings, ein T-Shirt und Socken.

Seit einigen Wochen wird im Fitnessstudio Femme Fitness im ersten Bezirk Ballett unterrichtet. Dass Ballett im Trend liegt, zeigen auch Barre-Workouts – also Kurse an der Ballettstange – die zunehmend in Wien angeboten werden. Und Mary Helen Bowers, die Natalie Portman für ihre Oscar-prämierte Rolle einer Ballerina in "Black Swan" fit machte, unterrichtet ihre Methode mittels Online-Livestream mittlerweile Tanzbegeisterten rund um den Globus.

Zurück ins Studio: Die Nachfrage sei groß, berichtet die Tanzlehrerin Josephine Niesen, die als Einzige im Raum zumindest ein bisschen wie eine Ballerina aussieht: Das Haar zu einem Dutt hochgefasst, trägt sie einen Body, dunkle Strumpfhosen und Wollstulpen zu echten Ballettschuhen.

Workout mit Klaviermusik

Dann geht es los. Erst werden unterschiedliche Beinpositionen im Sitzen und Liegen geübt, um sicherzugehen, dass dabei niemand ins Hohlkreuz verfällt. Weil die meisten der Anwesenden tänzerisch unerfahren sind, zeigt Niesen alles vor dem Spiegel vor. Dann werden die Übungen im Stehen gemacht, die Knie fürs Plié nach außen gebeugt, der Rücken angespannt, der Bauchnabel nach innen, der Hintern nach vorne gepresst, die Fußspitzen fürs Tendu grazil nach vorne gesetzt, dann in Form eines Halbkreises nach hinten geschoben.

Der Lernprozess geht schnell – wenn auch nur in der Theorie: Sorgen Anweisungen wie "erste Position" und "Tendu" anfangs noch für Verwirrung, werden die Grundbegriffe schnell klarer.

Eine kurze Abfolge von Bewegungen wird immer erst im Trockentraining, dann mit Klaviermusik aus dem CD-Player geübt. Niesen geht durch den Raum. Wer die Knie nicht ganz durchgestreckt hat, bei dem bessert sie eigenhändig nach. "Gibt es hier irgendjemanden, der das nicht gespürt hat?", ruft Niesen und schaltet den CD-Player wieder aus. Keiner hebt die Hand.

Training gegen Rückenschmerzen

Liane Simmel war früher selbst professionelle Balletttänzerin, heute hat sich die Medizinerin auf Tanzmedizin spezialisiert. Mit ihrem Münchener Institut "Fit for Dance" behandelt sie Tänzer in ganz Deutschland. Ballett als Workout findet sie gut. "Das Training steht und fällt aber mit dem Lehrer", betont sie.

Die Tanztechnik könne man grundsätzlich "sehr körperfreundlich" vermitteln, auch an Ungeübte, betont Simmel. Ein gesundheitlicher Vorteil von Ballett sei beispielsweise das Beinachsentraining: "Es gibt keine andere Sportart, wo so genau daran gefeilt wird, wie ich den Fuß aufsetze, wie ich das Knie in die Ausrichtung zwischen Hüfte und Sprunggelenk bringe und wie ich mein Becken platziere", so Simmel. Dadurch gewinne man eine Grundbalance, die auch im Alltag hilft. Ballett stärke auch den Rücken und beugt damit auch Rückenschmerzen – der Volkskrankheit Nummer eins – vor.

Realistische Selbsteinschätzung

Auch wenn es im Spiegel noch nicht so ausschaut: Ballett fühlt sich spätestens dann grazil an, wenn die Ballettlehrerin die richtige Handhaltung verrät: Der Daumen sollte beinahe am Mittelfinger aufliegen, die Finger gestreckt werden. Im Fokus stehen aber die Beinbewegungen, erzählt Niesen. Zu viele Armbewegungen würden das Workout nur verkomplizieren.

Zu einer gesunden Selbsteinschätzung mahnt auch Tanzmedizinerin Simmel – eine Karriere als Primaballerina ist unrealistisch: "Das wäre eine Illusion." Weder ein Spagat noch Verrenkungen der Beine in die Höhe – etwa bei einem Grand Battement – seien ratsam. Auch waghalsige Sprünge oder Spitzentanz seien keine gute Idee. "Aber wenn man auf dem Teppich bleibt und das, was an Bewegungsvokabular da ist, geschickt einsetzt, dann ist Ballett ideal", so Simmel.

Rhythmus ist gesund

Daher rät sie auch niemandem pauschal vom Balletttraining ab. Selbst dem Tanzen im höheren Alter würden Studien eine positive Wirkung bescheinigen. Wird vonseiten des Lehrers nicht ausreichend darauf geachtet, dann könnten jedoch Überlastungsprobleme an Muskeln und Gelenken auftreten, so Simmel. Wichtig sei ein gutes Warm-up, um nicht mit kalten Muskeln ins Training einzusteigen. Einzig die Ausdauer werde bei Ballett nicht trainiert, eine Ausdauersportart wie Laufen als Ergänzung sei daher ideal.

Nicht für alle von Niesens Schülerinnen steht aber der sportliche Aspekt im Vordergrund. Manche wollten Ballett einfach schon immer einmal ausprobieren: "Das macht man als Kind, und dann traut man sich nicht mehr", sagt Niesen. Außerdem gefällt manchen die Klaviermusik im Ballettunterricht einfach besser als die wummernde Bässe, die andere Workouts beschallen. Die Bedeutung von Musik als externen Rhythmus betont auch Simmel: "Heute weiß man, dass auch viele Funktionen des Stoffwechsels rhythmisch ablaufen, Rhythmus also durchaus wichtig für die Gesundheit ist." Außerdem ist die musikalische Begleitung auch eine Ablenkung, wenn das Training anstrengend wird.

Rasche Ernüchterung

Und das wird es: "Alles, was sich komisch anfühlt und anstrengend ist, ist richtig", sagt Tanzlehrerin Niesen. Am Ende des Ballettunterrichts kommt das große Finale: Die Tänzerinnen drehen sich auf Zehenspitzen stehend von einer Ecke des Saals in die andere. Manchen wird dabei schwindlig, sie fallen aus der Balance. "Bitte verzweifelt nicht", sagt Niesen ganz zum Schluss, nachdem sich alle vor dem großen Wandspiegel voreinander verbeugt haben, so wie die richtigen Tänzerinnen auf der Bühne: "Ballett ist hart."

Das kann auch Liane Simmel bestätigen: "Ich habe oft das Gefühl, dass die Ernüchterung bei vielen sehr schnell kommt", meint sie. Den Traum, Primaballerina zu werden, hätten wohl auch deshalb heute nur noch wenige. Vielleicht auch, weil sie lieber Leggings und T-Shirt als Tutu tragen. (Franziska Zoidl, 30.1.2016)