Leopold Strenns Großtante Anna im Kreis ihrer Familie: Das Profilfoto der Facebook-Seite "Portal Ahnenforschung Österreich", mit Beiträgen für Interessierte.

Foto: Portal Ahnenforschung Österreich

Manchmal lassen sich aus Einträgen auch Dramen rekonstruieren wie dieser Doppelmord von 1911.

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Über den Mord an Mitgliedern der Familie Holzknecht von Hort am 16. November berichteten anderntags zahlreiche Tageszeitungen, etwa auch die "Arbeiter Zeitung"…

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Die Hintergründe des Dramas wurden hier ebenso beleuchtet, wie der Tatort und die Umstände des Selbstmordes. (Zum Artikel)

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Seine Vorfahren zu erforschen scheint im Trend zu liegen. Die an den Volkshochschulen (unter anderen Tulln, Mödling, St. Pölten, Wien) veranstalteten Tagesseminare sind meist ausgebucht. Die Teilnahmegebühr liegt inklusive Skriptum bei etwa 80 Euro. Geboten wird das grundlegende Rüstzeug: wie man mit der Erforschung beginnt, in welchen kirchlichen und staatlichen Archiven notwendige Unterlagen zu finden sind, welche Probleme auf den Hobbygenealoge lauern (etwa Pfarr- und Grundherrschaftsgrenzen, Orthografie etc.), und wie sie lösbar sind.

Mitzubringen sind Schreibzeug und Konzentration. Letzteres in hohem Ausmaß, daran lässt Kursleiter Felix Gundacker von der ersten Minute an keinen Zweifel. Kein Wunder, er ist seit 26 Jahren Berufsgenealoge, sein Anspruch an die Aufmerksamkeit der Teilnehmer ist hoch, das gebotene fachliche Niveau sowieso. Aber, so viel sei verraten, am Ende des Tages wird der Kurs jeden einzelnen Cent wert gewesen sein.

Dass sich die Novizen unter den Teilnehmern spätestens anderntags auf einschlägigen Websites registrieren und digitalisierte Matriken zu durchforsten beginnen, gehört zu den klassischen Nebenwirkungen. Ebenso, dass man in bereits vorhandenen Ahnenpässen auf Fehler stößt oder über Generationen kolportierte Überlieferungen sich als Mythen entlarven.

Internationale Digitalisierung

Die Frage, wer noch mit allen vier Großeltern persönlich gesprochen habe, können die wenigsten der Hobbyforscher bejahen. Das bestätigt, was Gundacker aus langjähriger Erfahrung weiß: Die meisten kennen bis zu zwei Viertel ihrer Vorfahren nicht und wollen diese Lücke der Ungewissheit schließen.

Es geht um die Suche nach den individuellen Wurzeln. Wer sie nicht kenne, merkte Stefan Zweig einst an, der kenne auch keinen Halt. Oder, wie es die Mormonen formulieren: "Wenn wir etwas über unsere Vorfahren herausfinden, verstehen wir besser, wer wir sind – wir knüpfen ein Band mit der Familie, das Gegenwart und Vergangenheit verbindet."

In dieser christlichen Glaubensgemeinschaft hat Ahnenforschung seit dem 19. Jahrhundert Tradition. Das Ergebnis ist die weltweit größte Sammlung genealogischer und historischer Aufzeichnungen, die, mikroverfilmt oder digitalisiert, jedem unentgeltlich zur Verfügung stehen und teilweise über eine Website abrufbar sind.

Im Rahmen eines von der EU mit rund 125 Millionen Euro geförderten Projektes wurde in den vergangenen Jahren auch hierzulande begonnen, Kirchenbucheinträge zu digitalisieren. Denn pfarrliche Matrikenbücher, in denen Taufen, Trauungen und Sterbefälle erfasst wurden, gelten als wichtigste Quelle.

1784 wurden Pfarren anerkannter Religionsgemeinschaften unter Beibehaltung ihres kirchlichen Auftrages auch mit der staatlichen Personenstandsführung beauftragt. Ab Ende 1938 waren dafür die Standesämter zuständig. Davor finden sich rein konfessionelle, an den Sakramenten orientierte, Aufzeichnungen sowie grundherrschaftliche Quellen (bis ca. 1848; unter anderem Landesarchive) und Militärunterlagen.

A wie "abgeleibt"

Für den freien Zugang zu historischen Quellen setzt sich etwa das International Centre for Archival Research (Icarus) ein, eine Gemeinschaft von mehr als 160 Archiven und wissenschaftlichen Instituten aus 30 europäischen Ländern, Kanada und den USA, die mehrere Online-Portale, unter anderem Matricula, betreibt.

Auf stattliche 12,8 Millionen Einträge und 31.000 registrierte Benutzer (2015: 2,6 Mio. Abfragen) kann "GenTeam" verweisen: eine europäische Plattform, über die Historiker und Genealogen zum Teil im Team an Datenbanken arbeiten und diese Hobbyforschern und Kollegen zur Verfügung stellen. "Sämtliche Daten sind kostenlos abrufbar", versichert Initiator Felix Gundacker.

Für Anfänger helfen über soziale Netzwerke organisierte Gemeinschaften wie das "Portal Ahnenforschung Österreich" beim Einstieg. Im Internet finden sich weiters Hilfestellungen zum Lesen von Kurrentschrift ebenso wie Vokabeltabellen (Latein/Deutsch). Gundacker verfasste etwa ein genealogisches Wörterbuch, das 2100, in den Ländern der ehemaligen Österreichischen-Ungarischen Monarchie gebräuchliche, Begriffe und Abkürzungen entschlüsselt: von "A" wie "abgeleibt" (gestorben) bis "zythepsa" (Bierbrauer).

Das über die zunehmende Digitalisierung wachsende Interesse bestehe unabhängig von sozialen Schichten oder Altersgruppen, betont der 55-Jährige. Teilweise ist es erstaunlich, welche Geschichten aus Einträgen ablesbar werden. Bei der Indizierung von Sterbematriken stieß er auf drei Todesfälle am gleichen Tag (16. 11. 1911) und an der gleichen Adresse (Bäckerstraße 10): Als Todesursache der 25-jährigen Lehrerin Maria Holzknecht Edle von Hort und ihres 16-jähriger Bruders Georg ("Student, ledig") Georg scheint "Ermordung durch Erschießen" auf, beim 26-jährigen "Rechtspraktikant" Dr. Richard Matkovics wiederum "Selbstmord durch Erschießen". Ein Doppelmord mit zugehörigem Freitod also.

Laut damaligen Zeitungsberichten war dem Drama ein Fest zur silbernen Hochzeit der Holzknecht-von-Hort-Eltern vorausgegangen, bei dem auch der Hauslehrer Matkovics anwesend war. Dieser habe zuvor um die Hand Marias angehalten und war vom Vater vertröstet worden. Die Tat sei vorsätzlich geplant worden, berichteten Journalisten. Das Tüpfelchen auf dem Forscher-"i": Gundacker fand heraus, dass Vorfahren beider Familien aus dem mährischen Tischnowitz stammten und sich wohl gekannt haben dürften.

Die Geschichte der Kerrys

Die in Archivalien auffindbaren Details bilden die Basis, über die individuelle Familiengeschichten rekonstruierbar sind. Etwa auch jene von John Kerry, dem gegenwärtigen US-amerikanischen Außenminister. Über dessen Ahnen war 2004, als er bei der Präsidentschaftswahl 2004 im Spiel war, viel gemutmaßt worden. Der Wahrheit entsprachen die in amerikanischen Medien eingestreuten Informationen kaum bis gar nicht. 2003 bekam Gundacker vom Boston Globe den Auftrag, einige biografische Details zu Kerrys aus Schlesien stammendem Großvater zu überprüfen.

Der Genealoge begab sich auf Spurensuche, durchforstete Stadt- wie Staatsarchive von Brünn bis Prag und Budapest oder Wien – ein Routinejob, wenngleich von der spannenden Sorte. Unter Kerrys Ahnen und Verwandten fanden sich Brauereibesitzer, Handelsagenten oder auch der Mödlinger Schuhfabrikant Alfred Fränkel. Bei Letzterem, dem Onkel mütterlicherseits, war Großvater Fritz Kohn als Prokurist tätig.

1900 ehelichte er die in Budapest geborene Ida Löwe. Ein Jahr später konvertierte die Familie und suchte um Änderung des Namens von Kohn in Kerry an. "Wegen der Häufigkeit des Namens der specifisch jüdisch" sei und weil Friedrich (vormals Fritz) befürchtete, dass ihm dies bei einer "Militär Carriere" schaden könne, lautete die Begründung im Antrag.

Wie viele in jener Zeit witterte Großvater Kerry in den USA bessere berufliche Möglichkeiten, ließ Mödling hinter sich und wanderte 1905 mitsamt seiner Familie aus. Dort erblickte zehn Jahre später John Kerrys Vater Richard das Licht der Welt. Der Rest unterliegt dem Datenschutz und dem Recht auf Privatsphäre. Darauf legen Ahnenforscher selbst dann Wert, wenn sie begeistert aus dem Nähkästchen plaudern. (Olga Kronsteiner, 24.1.2016)