Wien – Noch extemporiert die Philosophin Elisabeth von Samsonow munter über den Körper zwischen Kunst und Medizin. Sie erörtert wortreich Verbindungen zwischen den steril-weißen Räumen im Krankenhaus und dem White Cube der Kunst und vergleicht die Ausgeliefertheit des Patienten an den Arzt mit jener des Künstlers gegenüber dem Kurator.
Angespannt sind indessen nicht nur die Ärztin zur Linken Samsonows und die Kuratorin zu ihrer Rechten, sondern auch das Publikum. Immerhin ist von Samsonow im Begriff, sich in einen "reinen Körper" zu verwandeln: Sie wird sich für ihre Performance The artist is absent live anästhesieren lassen. Dann wird das zahlreich erschienene Publikum an ihrer "Bahre" Schlange stehen, um Blicke auf das Gesicht der Weggetretenen respektive der Kunstwerk Gewordenen zu erhaschen.
Mit einer Performance, die durchaus auch hartgesottene Gemüter zumindest zu irritieren wusste, eröffnete Donnerstagabend der Kunstraum Niederösterreich die Ausstellung Objective. The artist is absent – eine Anspielung auf Marina Abramovics Langzeitperformance The artist is present, bei der sie 2010 im New Yorker Moma 721 Stunden dem Publikum gegenüber saß. Objective ist der erste Beitrag in der Jahresreihe "Meanwhile ...", einer großangelegten Reflexion über das Genre Performance: Wie verhält sich die kurze, intensive Zeitspanne der Aufführung zum Vorher und Nachher? Wie lässt sich augenblicksbezogene Kunst konservieren, archivieren, vermitteln? Wo fängt Performance an, wo hört sie auf?
Wer sich am Donnerstag nicht als Voyeur fühlen wollte, der gab sich der mit drei Positionen angenehm "luftigen" Ausstellung hin. Etwa der reizvollen Videoserie Wenn der Druck zu groß wird von Angelika Wischermann: Die Künstlerin schnürte Porzellanvasen an eine Säule – immer fester, bis diese brachen. Dass es für Betrachter der ziemlich langen Videos äußerst unwahrscheinlich ist, den "entscheidenden" Moment des Zerbrechens erleben – dass also die "Action" meist just hinter dem Rücken des Betrachters stattfindet – darin besteht die schöne Koketterie dieser Arbeiten.
Daniela Grabosch ist mit einer Videoinstallation zum Thema Überwachung vertreten: Die Künstlerin machte sich auf die Suche nach Überwachungskameras im öffentlichen Raum, um an den fraglichen Orten Selfies zu schießen und diese auch gleich als Sticker zu hinterlassen. Für die Ausstellung Objective ist freilich relevant, dass hier die Frage aufgeworfen wird, inwieweit man eine Performance gewissermaßen "undercover" aufführen kann.
Entdeckung der Langsamkeit
Spannend ist das Projekt T. E. der österreichischen Künstlerin Elisabeth Falkinger: Als sie 2013 in die Ukraine reiste, verliebte sie sich in einen Traktor. Das Zugticket nach Österreich war mit einem Mal vergessen. Falkinger beschloss, auf dem Rücken des Geliebten zurückzutuckern.
Auf der dreimonatigen Reise war er ihr "Werkzeug und Kommunikationsmittel mit der Umgebung". So steht es im Reisetagebuch, das nun auch Falkingers Diplomarbeit wurde. Fotos zeigen das ungleiche Paar beim Baden; der Text spricht vermenschlichend von "T." und "E." – statt "Traktor" und "Elisabeth".
In die Schau Objective. The artist is absent fügt sich T.E. insofern ein, als hier einige Fragen aufgeworfen werden: Handelt es sich um eine Landschaftsstudie? Eine Reflexion über das Verhältnis von Mensch und Maschine? Oder ist es doch mehr eine Performance?
Abwesend ist hier indes nicht nur die Künstlerin, sondern auch der Traktor. Zu sehen ist eine Arbeit, die während des Prozesses entstand: eine Installation aus jenen Bauteilen, die während der Reise repariert werden mussten, die sozusagen von der gemeinsamen Entdeckung der Langsamkeit erzählen. Den Traktor auszustellen sei, so die Künstlerin, nicht möglich gewesen. "T." könne nämlich nicht allein sein. (Roman Gerold, 22.1.2016)