STANDARD: Was würden Sie bei den Grünen gerne durchsetzen, auch gegen interne Widerstände?
Dziedzic: Ich wurde auf der Wiener Landesversammlung dafür gewählt, dass ich mir nie einen Maulkorb aufsetzen lasse. Ich habe mir immer herausgenommen, Tabus zu kommunizieren – in der polnischen Community, den migrantischen Communitys, aber auch bei den Grünen.
STANDARD: Was wäre denn so ein grünes Tabu?
Dziedzic: Laut auszusprechen, dass wir einen Systemwechsel in der Wirtschaft brauchen. Dass der aktuelle Umbruch eine Chance ist. Das ist zwar kein Tabu, aber wir sind am Überlegen, wie wir das kommunizieren können, ohne viele Menschen vor den Kopf zu stoßen, ohne als Träumer zu gelten. Die Realität ist aber: Selbst wenn wir jetzt allen Flüchtlingen aus Kriegsgebieten helfen – in zehn oder 15 Jahren werden wir mit einer viel stärkeren Fluchtbewegung konfrontiert sein, aufgrund von Klimakrisen. Die Grünen sollten Vorreiter sein und sagen: Die Krisen sind nicht überwunden, es werden womöglich noch mehr.
STANDARD: Würden Sie sich als wirtschaftspolitisch links bezeichnen?
Dziedzic: Wenn der Kampf gegen Ausbeutung menschlicher und natürlicher Ressourcen links ist, dann ja. In Zeiten tagespolitischer Krisen ist es schwer zu kommunizieren, dass wir hier dringend einen Systemwechsel in Richtung Umverteilung brauchen. Schaffen wir das nicht, müssen wir uns darauf gefasst machen, dass die Rechte noch mehr erstarkt. Das halte ich für sehr gefährlich.
STANDARD: Eine Diskussion über Wirtschaftspolitik zwischen Ihnen und Bundespräsidentschaftskandidat Alexander Van der Bellen wäre ...
Dziedzic: ... spannend! Ich bin ja auch Sprecherin der Grünen Frauen Wien. Wir sind dafür bekannt, progressiv zu sein und erarbeiten gerade ein feministisches Wirtschaftspapier, das viel von dem abdeckt, was Grüne auf Bundesebene noch nicht ausgesprochen haben – auch wenn es diese Debatten schon lange gibt.
STANDARD: Eine Forderung aus diesem Papier?
Dziedzic: Es braucht mehr, als sich nur Konzerne vorzunehmen. Wir brauchen eine Arbeitszeitverkürzung und müssen über Ladenöffnungszeiten reden.
STANDARD: Sie würden die Öffnungszeiten wieder einschränken?
Dziedzic: Man muss sich anschauen, was das jetzige System für die Arbeitnehmerinnen bedeutet und es hier und da stärker regulieren.
STANDARD: Was hat Sie politisch geprägt?
Dziedzic: Ich bin in Polen in einer politischen Familie aufgewachsen, meine Mutter kam aus einer Bauern-Arbeiter-Familie, mein Vater war eher großbürgerlich, die Familie war der Solidarnosc-Bewegung zugetan. Ich erinnere mich, dass ich mich als Achtjährige bei meiner Mutter beschwert habe, weil meine Filzstifte kaputt waren. "Beschwer dich beim Präsidenten", hat sie gesagt, "ich kann nix dafür, dass es im kommunistischen Polen nichts zu kaufen gibt." Ich habe mich tatsächlich hingesetzt und diesen Brief geschrieben. Ich finde es nicht überraschend, dass ich heute politisch aktiv bin.
STANDARD: Sie kamen 1990 mit zehn Jahren nach Österreich. Heute würde man Sie "Wirtschaftsflüchtling" nennen.
Dziedzic: Diese Unterscheidungen finde ich absurd. Flucht passiert nicht nur aus einem Grund. Meist ist es eine Verkettung und eine Frage der Zuschreibung: In einem kleinen Dorf in Niederösterreich waren wir die einzige "Ausländerfamilie", bevor Flüchtlinge aus Bosnien gekommen sind – bei uns hat noch die Neugier überwogen, die Bosnier haben eine andere Stimmung erlebt. Ich bin als Polin oft als eine andere Ausländerin wahrgenommen worden als jemand aus einem "islamischen Kulturkreis". Allein schon, weil wir katholisch waren und meine Eltern im Dorf in die Kirche gingen, gab es ein bisschen mehr von dieser Willkommenskultur, als wir es heute erleben.
STANDARD: Um auf ein verbreitetes Stereotyp anzuspielen: Ist der Islam also ein Integrationshindernis?
Dziedzic: Lediglich in den Köpfen der Menschen.
STANDARD: In den Köpfen der Aufnahmegesellschaft oder in den Köpfen der Ankommenden?
Dziedzic: Sowohl als auch. Es gibt keine einfache Antwort. Ähnlich bei Köln: Da sind es auch nicht die bösen Migranten, die über "unsere" Frauen herfallen. Es gibt ja auch viele Christen, die die Frauenbewegung gerne in die Fünfzigerjahre katapultieren würden. Gewalt findet täglich statt. Wichtig ist, sie nicht zu tabuisieren – das betrifft alle Religionen. Man darf weder nur die Herkunft dafür verantwortlich machen, noch die Herkunft verschweigen.
STANDARD: Bei den Grünen merkt man oft Zurückhaltung, was das Benennen der Herkunft betrifft.
Dziedzic: Wir wissen, wie schnell es populistisch instrumentalisiert werden kann, wie leicht Menschen dafür abzuholen sind. Wir wollen keine einfachen Antworten geben. Die klingen gut, würden aber nichts ändern. Siehe Bundesregierung: kleine Reförmchen, um wenig anzuecken.
STANDARD: Die Grünen scheinen eher beim Bürgertum zu punkten als bei klassischen Zuwanderer- und Arbeitermilieus.
Dziedzic: Mit dem Bilden von Parteistrukturen entstand das Image, dass die Grünen nur intellektuelle Bobos ansprechen und keine Ahnung haben, wie es den Leuten da draußen geht. Aber das stimmt nicht: Ich sitze in den Gremien mit Menschen aus Bezirksorganisationen zusammen. Für uns alle ist es aber eine Hürde, in einer schnelllebigen Zeit zu erklären, dass es einen ökologischen Umbau oder Umverteilung geben muss: Das geht sich in einem Fünf-Minuten-Gespräch oft nicht aus. (Maria Sterkl, 25.1.2016)