Wien – Der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat gleich prophylaktisch abgewunken. Wohl ist nicht klar, wie die von EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc angekündigte Harmonisierung der Roadpricing-Systeme in Europa aussehen wird. Vorstellungen, die eindeutig dazu dienten, deutsche Autofahrer mehr zu belasten, könne sich die Verkehrskommissarin "knicken", sagt Dobrindt.
Das Anliegen, das die Kommissarin heuer präsentieren will, gleicht einer Mammutaufgabe. Denn Europa ist, wie bei der Bahn, beim Maut-Einheben ein Fleckerlteppich. Wer mit dem Auto von Flensburg bis Palermo fährt, braucht für mindestens drei Systeme, ein Zugangsgerät und muss in Etappen zahlen. Diese Zersplitterung hemme den Warenverkehr, argumentiert Pulc.
Eine Box für alle
Daher ist das Ziel klar: Die Nutzer, Transportunternehmen ebenso wie Pkw-Halter, sollen möglichst nur eine On-Board-Unit (OBU) im Führerstand haben müssen und sich mit diesem Gerät in alle Mautsysteme einloggen und bezahlen können. Vignetten, also Fixtarife für einen definierten Zeitraum und die in diesem zurückgelegten Kilometer, kommen in den Harmonisierungsplänen der EU logischerweise nicht vor. Straßenbenützungsabgaben sollten ausschließlich auf Basis gefahrener Kilometer eingehoben werden, so das Credo.
Das macht auch Österreichs Verkehrsminister unrund, man sieht die Pkw-Vignetten im Visier. Offiziell äußert man sich im Verkehrsministerium nicht, man wolle abwarten, wie der Vorschlag aussieht. Einfach wird eine Harmonisierung nicht. Denn die EU-Mitgliedsstaaten haben in ihre Mautsysteme Milliarden investiert und werden diese so schnell nicht umrüsten. Daher wird der neue Vorschlag, das ist absehbar, auf neu zu errichtende Mautsysteme abstellen. Und auf elektronische Schnittstellen, um bestehende Mautsysteme zu verbinden.
Set an Spezifikationen
Wohin die Reise gehen könnte, zeigt die Studie "State of the Art of Electronic Tolling", das die EU-Generaldirektion Transport und Verkehr bei dem auf Transport und Infrastruktur spezialisierten Beratungsunternehmens 4icom Steer Davies Gleave in Auftrag gegeben hat. Die EU-Kommission sollte erwägen, mit den Mitgliedsstaaten ein Set an Spezifikationen für eine On-Board-Unit zu erarbeiten, die als Referenz für jede künftige Art von Verrechnungssystem dient und auf die auch neue Bezahlsysteme aufbauen können. Berücksichtigt werden sollten auch Technologietrends und Innovationen wie zum Beispiel selbstfahrende und vernetzte Autos oder City-Mautprojekte.
Um zuverlässig Mauteinnahmen zu lukrieren, sei sicherzustellen, dass die Mitgliedsstaaten bei Verstößen kooperieren. Gleiches gelte für Datenschutz und Bezahlsystem. Auch sollten neue Direktiven auf den Elektronischen Mautdienst (EETS), auf den sich die EU-Staaten 2009 verständigt haben, aufbauen, heißt es in der Studie, die dem STANDARD vorliegt.
Elektronische Interoperabilität
Die EETS-Richtlinie sieht vor, dass die Entrichtung von Mautgebühren mit einem Vertrag bei einem EETS-Anbieter mit nur einem Fahrzeuggerät (OBU) in der gesamten EU möglich sein soll. Diese Mauteinheber sind dann zwischengeschaltet, kassieren die Mautgebühren vom Endkunden und führen sie an den Betreiber ab. Die Direktive gilt aber nur für Länder mit elektronischem Mautsystem. Als logischer EETS-Dienst gelten in der Branche Tankkarten-Anbieter wie DKV, die diesbezüglich bereits jetzt viel an Service und Support für Lkw-Transitfahrten bereitstellen. Um den Weg zu Interoperabilität herzustellen, sollte die Kommission sicherstellen, dass EETS-Provider auch neue, künftige Bezahlsysteme integrieren können, rät die Studie.
Wiewohl die Zukunft klar elektronischen Mautsystemen (Satelliten, Mikrowellentechnik) gehört, empfiehlt die Studie, auf lokaler Ebene, etwa für Citymauten, auch andere Technologien zuzulassen. RFID-Systeme, wie sie die Türkei verwendet, sind deutlich billiger. Eine Satelliten-OBU kostet rund 100 Euro, ein DSRC-Gerät wie die in Österreich verwendete Go-Box nur rund zwölf Euro, ein RFID-Sticker aber nur einen Euro. (Luise Ungerboeck, 25.1.2016)