Die N-O-W-Konferenz fand vergangene Woche in Wien statt. Ziel war es, BürgermeisterInnen, ExpertInnen und NGOs einen Raum für Austausch zu bieten.

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Leyla Ferman: "Es soll strenger gegen Frauenhandel vorgegangen werden."

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Leyla Ferman ist in der Provinz Mardin im Südosten der Türkei im Einsatz, die Stadt Mardin liegt nur 20 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Vergangene Woche nahm Ferman an der internationalen BürgermeisterInnen-Konferenz N-O-W in Wien teil, einem Vernetzungstreffen von ExpertInnen aus elf Ländern, die sich in der Flüchtlingsfrage engagieren.

STANDARD: Wie viele Menschen leben in der Region, die Sie beraten?

Ferman: Die Provinz hat rund 850.000 Einwohner und umfasst sieben Städte. Ich sorge unter anderem für die richtige Verteilung der Hilfsgüter zwischen den Städten.

STANDARD: Sie sind auch Vorstandsmitglied in der Föderation der jesidischen Vereine. Stammt Ihre Familie aus der Region?

Ferman: Ja, aber ich selbst bin in Deutschland geboren und erst nach meiner Promotion über "Dezentralisierung und ethnische Konflikte" dorthin gegangen.

STANDARD: Sie sind auch Beraterin des Bürgermeisters von Mardin. Ist das ungewöhnlich für eine Frau?

Ferman: Nein. Die Frau hat einen hohen Stellenwert in der kurdischen Gesellschaft. Seit dem März 2014 hat sogar jede kurdische geführte Gemeinde eine Doppelbürgermeisterschaft: einen Mann und eine Frau.

STANDARD: Gibt es dafür eine Quote?

Ferman: Ja.

STANDARD: Mardin liegt nur 20 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Wie ist die Situation der weiblichen Flüchtlinge, die es dorthin schaffen?

Ferman: Es kommen sehr viele hochgradig traumatisierte Frauen, die aus IS-Gefangenschaft geflohen sind. Sie wurden teils mehrmals auf Sklavenmärkten an verschiedene Männer verkauft und konnten nach teilweise jahrelangem Martyrium fliehen.

STANDARD: Wie viele Frauen sind es, um die Sie sich kümmern?

Ferman: Derzeit rund 1.500 Frauen und Kinder, die teilweise ebenfalls sehr traumatisiert sind. Ich werde nie den Anblick eines Kindes vergessen, das mehr als ein Jahr mit seiner Mutter in Gefangenschaft war: Es war bei seiner Ankunft nicht möglich, Kontakt zu ihm aufzunehmen, es anzusprechen oder überhaupt Blickkontakt herzustellen.

STANDARD: Wie versuchen Sie diesen Frauen und Kindern zu helfen?

Ferman: Wir sind dabei, ein Rehabilitationszentrum zu organisieren. Die Projektentwicklung steht, aber wir brauchen 350.000 bis 400.000 Dollar für die Umsetzung und den Betrieb für zwei Jahre.

STANDARD: Was sind die Probleme bei der Finanzierung?

Ferman: Die internationalen Hilfsgelder gehen an die Zentralregierung in Ankara. Wir wollen mehr regionale Autonomie. Außerdem soll strenger gegen Frauenhandel vorgegangen werden: In Gaziantep werden jesidische Frauen um bis zu 10.000 Dollar zum "Rückkauf" durch ihre Familien angeboten.

STANDARD: Wie kann speziell weiblichen Flüchtlingen am besten geholfen werden?

Ferman: Wir möchten, dass sie erst gar nicht zu Flüchtlingen werden. Frauen, die von IS-Kämpfern vergewaltigt wurden, schließen sich heute dem bewaffneten Widerstand an, und es gibt zum ersten Mal in der Geschichte der Jesiden einen Frauenrat. Dass wir genau das machen, was der IS nicht will, gibt mir Hoffnung. (Tanja Paar, 25.1.2016)