
Die Welt als Ball, der die Sicht verstellt. Johanna Wolff kämpft in "Anatomie eines Faultiers" mit den Mühen des Aufstiegs.
Wien – Mit einem Globus am Kopf, also voll und ganz in der Welt, erklimmt Johanna Wolff gliederausrenkenden Schrittes sichtlich ge- wie bemüht den Berg aus Turnmatten. Mehrmals müsse sie Walter Benjamins Sätze lesen, um ihre Schönheit, ihren Sinn zu verstehen, eifert sie von seiner Spitze aus. Aber Benjamin zu lesen, das lade die Zeit ein, anstatt sie zu vertreiben. Die Kugel ist nun abgenommen. Der Kopf frei, die Übersicht unverstellt. Zeit war dazu nötig und Geduld.
Beides fehlt uns heute, das ist zentraler Gedanke hinter Anatomie des Faultiers, der neuen Stückentwicklung des Theaterkollektivs Yzma. Ist noch Platz für eine Lust an der Langeweile, welche Möglichkeiten birgt die Muße? Ist Passivität Faulheit und muss man alles tun, was man tun könnte? So in etwa lauten die Fragen.
Bis zur Erschöpfung
Direkt schlägt sich dabei das Rastlose der Welt auf der Bühne des Kosmos Theaters nieder. Man ist so gegenwärtig, dass man getrieben ist zwischen Beschleunigung, Effizienzsteigerung und Work-Life-Balance. Auch die Erlösung ist zum Business geworden, auch das Nicht-der-Norm-Entsprechen zum Wettbewerb.
Bis zur sinnlosen Erschöpfung setzt Talkmaster Florian Haslinger daher seine Gäste Challenges aus. Mit Albert-Einstein-Maske philosophiert Michaela Schausberger im Philosophiestudenten-Radio dann über das menschengemachte Wesen der Zeit. Und wie zum Exempel erinnert sich Tobias Artner an (s)eine Kindheit und wie er sie zubrachte. Man tanzt, bellt, läuft, hetzt. Verbunden sind die Episoden nicht, jeder hat seine großen Momente. Nur Faultier ist keiner eins.
Viele Baustellen, keine Lösung
Statt eine Geschichte zu erzählen, eröffnet Yzma damit ganz viele Baustellen zugleich. Auch Terror ("Sind wir im Krieg?") hat da Platz. Ist das die dramatische Entsprechung einer in twittermeldunglange Partikel zerbrochenen Welt? Fragmente, lose gefügt und per Hashtag verbunden? Dass sich die Darsteller selbst geradezu überschlagen, wäre so gut begründet. Als Abbild.
Das ist ein Stichwort. Lösungen will man nicht präsentieren, sondern Diskurse nachzeichnen und von ihnen aus Brücken zu philosophischen Konzepten schlagen. Vieles, was sich benennen lässt, lässt sich halt nicht ganz so leicht behandeln. Das Beste des Abends findet sich öfter in den kleinen Momenten wieder denn in seiner großen Ambition.
Engagiert gedacht gelingt so eine zuweilen gewollt konfuse Sammlung von Beobachtungen und Ideen. Die sind zwar nicht immer neu, aber immer bravourös und flott gespielt und bieten Milena Michaleks Inszenierung die Gelegenheit für eine Vielzahl eindrücklicher, schöner Bilder. "Ich muss nur noch kurz", lauten die plagenden letzten Worte nach 100 Minuten. Pause gab es währenddessen übrigens keine. (Michael Wurmitzer, 25.1.2016)