Bild: The Witness
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Stellen Sie sich vor, Sie stranden auf einer verlassenen Insel. Abseits der sonderbar schönen Gebilde, Gebäude und Naturlandschaft wurde nichts hinterlassen außer einem Rätsel. Hunderte, genau genommen, die in Summe eine gemeinsame Frage stellen: Was ist hier geschehen?

In "The Witness" wird man wortwörtlich zum Zeuge dessen, was vergangen ist. Beraubt um jede Form der zwischenmenschlichen Interaktion, bleibt einem nichts, als diese Fantasiewelt aus Tempeln, Pavillons, Wäldern, Seen und Bergen zu erkunden und sich dieses mysteriösen Erbes anzunehmen.

Um alle Geheimnisse in "The Witness" zu lösen, braucht man laut Entwickler Blow rund 80 bis 100 Stunden. Eine Aufgabe, die man aus Rücksicht vor dem eigenen Verstand besser über Wochen hinweg löst.
PlayStation

Trügerische Einfachheit

In jedem dieser Orte findet man eine Serie an Zeichenbrettern, auf denen man Punkt A mit Punkt B verbinden muss. Aufgaben, die zunächst trivial erscheinen und diese makellos kreierte Traumkulissen völlig abgehoben vom spielerischen Inhalt erscheinen lassen. Man schlängelt seinen imaginären Stift durch die ersten drei Raster und denkt sich, irgendetwas stimmt hier doch nicht.

Sieben Jahre lang soll Jonathan Blow, der durch den genialen Platformer "Braid" praktisch über Nacht zur Entwickler-Ikone und zum Millionär wurde, mit seinem Team daran gearbeitet haben? 40 Euro für ein zugegebenermaßen beeindruckend visualisiertes Rätselraten? Dafür hat Blow sein gesamtes Erspartes ausgegeben?

Und während man noch die Daseinsberechtigung dieses Paradieses infrage stellt, stößt man plötzlich auf eine schier unlösbar erscheinende Problemstellung. Plötzlich gibt es nicht ein Ende, sondern acht, und eine ganz bestimmte Route zum Ziel wird erfordert, ohne dass man auch nur die kleinste Anleitung dafür hat. Außer mir ist ja sonst niemand da, und offenbar ist hier doch nichts, wie es scheint.

Puzzlehölle

So einfach das Prinzip von Verbindungsaufgaben zu verstehen ist, so teuflisch sind sie, wenn man keinen Anhaltspunkt für ihre Lösung hat. Mit mathematischer Präzision und sadistischer Kreativität wurde in der von Farben strotzenden Idylle eine wahrhaftige Puzzlehölle erschaffen, die alle Gehirnzellen strapaziert und keinen einzigen digitalen Stein in diesem Konstrukt dem Zufall überlässt.

Schattenspiele, Spiegelungen, Perspektiven – Symbole, Symbole, Symbole. Alles, was möglich ist, ist möglich und wer seinen Bewusstseinsradius einschränkt, wird scheitern. Blow hat so lange an diesem Spiel gearbeitet, weil er zuerst sein Gehirn entwinden musste, um unsere Windungen nun verknoten zu können.

Labyrinth im Kopf

Er schafft dies mit der Ästhetik, über die nur ein Allwissender verfügen kann. Es gelingt ihm, den biblischen Apfel als Frage des persönlichen Blickwinkels zu manifestieren und die mühevolle Suche nach der Lösung als eigentliches Ziel zu vergegenwärtigen. Man löst ein Rätsel, eine Maschinerie wird in Gang gesetzt, und eine Tür öffnet sich. Man folgt dem Weg hinab in den Untergrund und trifft, ohne es zu erwarten, auf ein Kino. Ist man doch nicht allein? Gibt es eine Verbindung zur Außenwelt?

Die Koordinaten einer unbeschriebenen Karte werden zum einzigen Wegweiser für ein Gartenlabyrinth. Auf halbem Weg bedauert man bereits den Zustand seines Kurzzeitgedächtnisses. Nicht alle diese Aufgabenstellungen sind von unantastbarer Genialität. Wenn man in einer Ruine verzweifelt nach der einzig richtigen Perspektive sucht oder nach einer Serie gleich gearteter Herausforderungen die letzte nicht nachvollziehen kann und schließlich ratend löst, fühlt man sich der Willkür eines Videospielgotts ausgesetzt. Doch wenn nach 20 Minuten des Grübelns und Probierens einem schließlich ein Licht aufgeht, erfüllt pure Genugtuung den geschundenen Kopf.

Fazit

So trägt jeder einzelne Puzzlestein zur Vollendung dieses Meisterwerks bei. Das ist kein Rätselheft und auch kein zufälliger Inselbesuch. Das ist die Gratwanderung zwischen Resignation und Bezwingung neuer geistiger Höhen. Jeder Mensch hat sein eigenes Höchstmaß an kognitivem Masochismus. Wer dieses bisher nicht kannte, wird es auf diesem Marathon kennenlernen. Und sollten Sie sich auf dieser dutzende Stunden langen Reise irgendwann selbst bemitleiden, denken Sie an die sieben Jahre, die Jonathan Blow dafür brauchte. (Zsolt Wilhelm, 25.1.2016)

"The Witness" ist für Windows-PC, PS4 und Xbox One erschienen.