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In den kommenden Jahrzehnte dürften der globale Meeresspiegelanstieg durchschnittlich viel höher ausfallen als angenommen. Damit steigt auch die Gefahr durch zerstörerischer Sturmfluten.

Foto: REUTERS/Tim Wimborne

Miami – Der weltweite Anstieg des Meeresspiegels durch die Klimaerwärmung ist einer aktuellen Studie zufolge bisher deutlich unterschätzt worden. Möglicherweise sei der Anteil durch die wärmebedingte Ausdehung der Ozeane durchschnittlich doppelt so hoch wie bisher gedacht, berichten Wissenschafter um Roelof Rietbroek von der Universität Bonn in der US-Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences".

Im Prinzip reagiert das Wasser in den Ozeanen wie ein Quecksilber-Thermometer: Wenn die Temperaturen steigen, dehnt sich die Flüssigkeit aus und steigt in dem Röhrchen empor. Da die Weltmeere ebenfalls zwischen den Kontinenten eingezwängt sind, steigt auch ihr Spiegel an, wenn sie sich durch den Klimawandel aufheizen. "In den besonders tiefen Ozeanregionen reicht bereits eine kleine Erwärmung aus, um einen deutlichen Meeresspiegelanstieg hervorzurufen", sagt Rietbroek vom Institut für Geodäsie und Geoinformation . Ein Anstieg von mehreren Millimetern jährlich sei in Tiefseezonen keine Seltenheit.

"Bislang wurde unterschätzt, wie stark die wärmebedingte Ausdehnung der Wassermassen in den Ozeanen zum globalen Meeresspiegelanstieg beiträgt", sagt Jürgen Kusche, Ko-Autor der Studie und ebenfalls von der Bonner Universität. Zusammen mit Wissenschaftern des Deutschen GeoForschungsZentrums (GFZ) in Potsdam und des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven berechneten die Geodäten aus den Erdschwerefelddaten der GRACE-Satelliten und den Meereshöhenmessungen des Altimeters von Jason-1 und Jason-2, wie stark der Meeresspiegelanstieg durch sowohl die erwärmungsbedingte Ausdehnung des Wassers als auch die Massenzunahme in den Ozean in den Jahren von 2002 bis 2014 war.

Doppelt so hoher Anstieg

Bislang wurde davon ausgegangen, dass der Meeresspiegel durch diesen "Thermometereffekt" jährlich im Schnitt um 0,7 bis 1,0 Millimeter anstieg. Nach den neuen Berechnungen betrug der Meerespiegelanteil durch Ausdehnung etwa 1,4 Millimeter pro Jahr – also fast doppelt so viel wie zuvor angenommen. "Dieser Höhenunterschied entspricht in etwa dem Doppelten des abschmelzenden grönländischen Eisschildes", sagt Rietbroek.

Außerdem variiert der Meeresspiegelzuwachs durch die Volumenausdehnung in den verschiedenen Ozeanregionen und durch andere Effekte sehr stark. Nach den Auswertungen des Forscherteams halten die Philippinen mit rund 15 Millimeter jährlich den Rekord, während an der Westküste der USA weitgehend Stillstand herrscht – weil es dort zu kaum einer Meerwassererwärmung kommt.

Gefährdete Küstensiedlungen

Vom Meeresspiegelanstieg bedroht sind vor allem Siedlungen in Küstennähe, wo die regionalen Änderungen eine größere Rolle spielen können als der globale Anstieg. "Wegen ein paar Millimeter mehr wird kein Land seine Deiche höher bauen", sagt Rietbroek. "Allerdings summieren sich diese kleinen Beträge in Jahrzehnten zu etlichen Zentimetern. Die Wahrscheinlichkeit einer zerstörerischen Sturmflut könnte damit drastisch zunehmen."

Deshalb lohnt es sich aus Sicht des Wissenschafterteams, den ausdehnungsbedingten Wasserspiegelanstieg in den Weltmeeren hinsichtlich des Klimawandels im Auge zu behalten. Es gebe nur wenige Messdaten darüber, wie stark sich die Ozeane bei steigenden globalen Lufttemperaturen in Tausenden Metern Tiefe erwärmen und ausdehnen.

"Die physikalischen Ausdehnungsprozesse in der Tiefsee sind bisher nur mangelhaft berücksichtigt", sagt der Geodät der Universität Bonn. Sie spielten aber bei der Abschätzung der Klimafolgen eine entscheidende Rolle. Deshalb sei es hochinteressant, die wärmebedingte Ausdehnung der Weltmeere auch mit künftigen Satellitenmissionen zu beobachten und auch Messdaten aus der Vergangenheit zu erschließen. Damit ließe sich mehr darüber erfahren, zu welchem Teil der Anstieg des Höhenniveaus der Ozeane auf menschenbedingte und welcher Anteil auf natürliche Ursachen zurückzuführen ist. Dr. Rietbroek: "Außerdem ist der Anstieg des Meeresspiegels weit weniger durch natürliche Schwankungen überlagert als der Anstieg der globalen Temperaturen, und damit ein verlässlicherer Indikator des Klimawandels." (red, 26.1.2016)