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Das perfekte Erlebnis in der Freizeit will geplant sein: ob es nun im Vergnügungspark ist oder das in Umbruchzeiten oft diskutierte Selbermachen von Dingen, die man sonst kaufen müsste.

Foto: APA/EPA/Seeger

Wien – "Spinnräder wären gescheiter als Fahrräder." So wird das junge Mädchen Tusnelda in einem der um 1900 am Theater populären Spinnstücke von ihrer Großmutter belehrt. Als rund sechzig Jahre später die Fünftagewoche eingeführt wurde, diskutierte man sinnvolle Freizeitbeschäftigungen, um des "Straßenterrors der Halbstarken" Herr zu werden. Heute wiederum kann die Wahl des passenden Freizeitangebotes bereits richtig harte Arbeit sein: Wie man seine Freizeit sinnvoll verbringt, war und ist immer wieder Thema gesellschaftlicher Diskussionen.

Wissenschaftlich blieben aber die Schnittstellen und Grenzbereiche zwischen Arbeit und Freizeit gegenüber dem als Gegensatz gedachten Paar Arbeit/Konsum oft unterbelichtet, sagt die Historikerin Reinhild Kreis im Gespräch mit dem STANDARD. Sie organisierte daher gemeinsam mit Josef Ehmer vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien die Tagung "Ein ungleiches Paar – Arbeit und Freizeit in Industriegesellschaften des 20. Jahrhunderts", die am vergangenen Wochenende stattgefunden hat.

Flexiblere Arbeitszeiten

Thematisiert wurden zunächst sozialwissenschaftliche Thesen wie der Wandel von der "Arbeitsgesellschaft" – in der die Arbeit dem Leben Sinn und Struktur gibt – zur "Freizeitgesellschaft", vertreten beispielsweise von Andreas Wirsching, dem Leiter des Münchners Instituts für Zeitgeschichte. In seinem Tagungsbeitrag "Kollektiver Freizeitpark oder Burnout-Gesellschaften", der im Rahmen der Wiener Vorlesungen stattfand, ging Wirsching von einem fundamentalen Wandel von der industriellen zur postindustriellen Gesellschaft aus: Mit flexibilisierter Arbeit, individualisierten Familienstrukturen, mehr Freizeit und einem stark expandierenden Freizeitsektor. Dieser Freizeitsektor übe einen enormen "Sog" auf die Menschen aus und bringe sie dazu, laufend die eigene Freizeit und das perfekte Erlebnis zu managen: "Das ist zeitraubend und entpolitisierend."

Peter Paul Bänzinger von der Universität Basel hingegen argumentierte in seinem Vortrag, dass sich die Konsum- und die Arbeitsgesellschaft eher gleichzeitig und aufeinander bezogen über lange Zeit entwickelt haben. In einem kürzlich erschienenen Artikel plädierte er für Theorien mittlerer Reichweite und – wie auch bereits davor Tagungsorganisator Josef Ehmer – vor allem dafür, sich verschiedene Zeiträume und gesellschaftliche Gruppen gesondert anzusehen.

Dieser Anspruch wurde im Rahmen der Tagung eingelöst: "Uns haben die Grenz- und Graubereiche interessiert", sagt Historikerin Kreis: beispielsweise Zwangsarbeiter, Ordensschwestern, Militärs oder Ehrenamtliche, die den Besuchern des Hamburger Museums der Arbeit ihre frühere Tätigkeit vorstellen. "Da kommt man mit einem bipolaren Begriffspaar Arbeit und Freizeit einfach nicht weiter", fasst Kreis ein Ergebnis der Konferenz zusammen.

Auch das Habilitationsprojekt von Kreis, die nun nach einem über ein Lise-Meitner-Stipendium des FWF finanzierten Forschungsjahr in Wien wieder an die Universität Mannheim zurückkehrt, ist in einem solchen Schnittfeld angesiedelt: "Selbermachen im Konsumzeitalter – Werte, Ordnungsvorstellungen und Praktiken zwischen den 1890er- und den 1980er-Jahren". Der Begriff des Selbermachens verweise darauf, dass es Alternativen des Konsums geben müsse, andererseits aber auch auf das "Machen des Selbst". Spinnen wie Heimwerken stellen Tätigkeiten dar, bei denen man an das Haus gebunden ist, und sind demnach auch eine "attraktive Form der Beaufsichtigung und Kontrolle", sagte Kreis in ihrem Vortrag.

Diskurse in Umbruchzeiten

Diskurse über das Selbermachen haben ihr zufolge vor allem in Umbruchzeiten Konjunktur: So sei im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Bewegung zur Förderung der Knabenhandarbeit – sprich: des Werkens – entstanden, rund um die Einführung der Fünftagewoche wurde die Heimwerkerbewegung populär.

Eine wichtige Funktion spielt auch der Markt, denn Selbermachen bedingt zunächst viel Konsum – man denke an Nähmaschinen, teure Wolle oder Werkzeuge. Gleichzeitig gehen aber Menschen auch höchst individuell an das Selbermachen heran, es kann abseits von Kontrolle und Konsum um Empowerment, Protest oder Emanzipation gehen.

Dass sich das Selbst über Freizeitaktivitäten immer wieder neu erfinden muss, ist laut Wirschnig eben auch ein Merkmal der Konsumgesellschaft. Dadurch entstehe jedoch auch Druck, argumentiert der Historiker aus München: "Keine neuen Freiheiten ohne neue Belastungen." Heute werde man sowohl in der Freizeit als auch in der Arbeit unter Druck gesetzt, seine Zeit sinnvoll zu verbringen und die (neoliberal gesehen) "richtige" Wahl zu treffen. Dieser Druck könne zu Sucht (als Flucht), Burnout oder Depression führen, "wenn das Alles-ist-möglich ins Nichts-ist-möglich kippt".

Tusnelda traf, wenn auch wahrscheinlich nur in dem erwähnten Spinnstück, ihre Wahl: Sie blieb zu Hause und lernte spinnen. Heute gibt es weniger Druck der Großmütter und mehr Auswahl, doch es gilt nach wie vor – oder auch ganz neu? – die Devise der Betriebsamkeit: Es gibt immer was zu tun. (Heidemarie Weinhäupl, 27.1.2016)