Eine Cartier-Uhr sei noch lange kein Luxus. Glaubt er. In Albanien, wo das Durchschnittseinkommen bei 360 Euro liegt, kann sich eigentlich niemand eine Cartier-Uhr leisten, außer der reiche Onkel aus Österreich schenkt sie ihm. Doch die Welt ist für manche eben gleicher. Insbesondere für hochrangige Richter und Staatsanwälte in Südosteuropa.

Der Chef des Berufungsgerichts von Tirana, Alaudin Malaj, fährt nach 22 Dienstjahren einen Mercedes S 350 – sein Vermögen wird auf 1,7 Millionen Euro geschätzt, berichtet "Balkan Insight". Dem albanischen Inspektorat für Vermögenserklärungen und Interessenkonflikte zufolge hat Herr Malaj den Großteil dieses Geldes auf illegalem Weg angehäuft. Er bediene sich dabei Firmen, die von Familienangehörigen geführt werden und in denen das Schmiergeld gewaschen wird.

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Albaner machen ihrem Unmut Luft. Bestechung und Bestechlichkeit gehören zum Alltag.
Foto: AP/Pustina

Alle Albaner wissen, dass Bestechung und Bestechlichkeit zum Alltag gehören. In die Gerichte haben sie realistischerweise wenig Vertrauen. Deshalb ist eine Justizreform schon ewig ein Thema, zählt aber sicherlich zu den schwierigsten Dingen, die man in dem kleinen Adria-Staat durchführen sollte.

Kriterium für EU-Annäherung

Die Justizreform gilt nun auch als das entscheidende Kriterium für das Erlangen des EU-Kandidatenstatus. Auch die EU – die dringend positive Ergebnisse in den Anwärterstaaten braucht – hat großes Interesse daran, dass bis Sommer die neuen Gesetze ausgearbeitet sind. Allerdings ist es mehr als wahrscheinlich, dass eine Änderung der Justizpraxis ausbleiben wird, wenn man nur versucht, die Reform schnell über die Bühne zu bringen.

Der Kern des Vorhabens ist die Änderung von fünf Verfassungsartikeln, um die Struktur der Justiz umzukrempeln. Ein Hoher Justizrat soll den politischen Einfluss der Richter beschränken, indem sie überwacht werden. Auch die Höchstgerichte und das Verfassungsgericht bekommen neue Befugnisse. Der Generalstaatsanwalt soll sich mehr auf Korruptionsbekämpfung konzentrieren. Auch die Rolle des Staatspräsidenten bei der Ernennung soll geändert werden. Nun wehrt sich die Richtervereinigung gegen das geplante Monitoring. Und die Venedig-Kommission kritisiert, dass die neuen Institutionen nicht automatisch die existierenden Institutionen ablösen und viel kosten werden.

Fehlende Strategie

Das Hauptproblem ist aber laut Insidern ein ganz anderes: Bislang fehlt jegliche Strategie für die Umsetzung der Reform, und es fehlen Geld und Personal, um all das zu schaffen. Die Leute müssen zudem geschult werden und Büros bekommen. Man scheint an einem Skelett zu bauen und die Muskeln zu vergessen. Die Verfassungsänderungen ziehen zudem weitreichende Folgen nach sich. Insgesamt müssen 70 weitere Gesetze geändert werden. "Davon sehe ich überhaupt nichts", sagt ein Experte, der nicht namentlich genannt werden möchte.

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Ein Anhänger der albanischen Opposition demonstriert gegen systematische Korruption.
Foto: AP/Pustina

Man würde zu viel Augenmerk auf die Richter und Staatsanwälte legen. Es sollte mehr um eine Kultur der Rechtsstaatlichkeit gehen, meint derselbe. "Denn selbst wenn man korrupte Leute durch die neuen Überprüfungsstrukturen identifiziert und hinauswirft, hilft das noch nicht, weil das System das gleiche bleibt", so der Diplomat. "Es geht um Vertrauen, das nur entsteht, wenn allen klar ist, dass man ganz einfach nicht bestechen soll und darf."

Knackpunkt Korruption

Das Gesetzespaket wird nicht nur von albanischen Experten, sondern auch von Vertretern der EU, der USA und des Europarats erarbeitet. Viele sagen, dass das Unterfangen ambitiös ist – und die Vorschläge gut. US-Botschafter Donald Lu nennt die Justizreform sogar das Wichtigste "seit dem Fall des Kommunismus". Aber auch er sieht das Problem vor allem bei den korrupten Richtern und Staatsanwälten, die das Geld der Bürger stehlen würden. Dabei wird übersehen, dass es oft gar keine Order von oben braucht – es reicht, dass alle Beteiligten wissen, wie sie sich zu verhalten haben, wenn Politiker oder einflussreiche Wirtschaftstreibende mit der Justiz in Konflikt geraten.

Betrachtet man die Entwicklungen in anderen Transitionsländern wie Rumänien, so dauert gerade der Kampf um Justizreformen mittlerweile mehr als ein Jahrzehnt und ist von vielen Rückschlägen und langsamen Fortschritten gekennzeichnet. Denn auch wenn mittlerweile viele Lokalpolitiker bestraft werden, weil sie sich schmieren lassen oder Aufträge an Freunde vergeben, sind diese Leute dennoch durchaus beliebt. In ganz Südosteuropa können sich viele Menschen gar nicht vorstellen, dass etwas ohne Korruption funktioniert. Viele haben ihre Jobs irgendwelchen Beziehungen oder Parteimitgliedschaften zu verdanken. Der Widerstand gegen Reformen hat auch damit zu tun, dass manche durch diese verlieren würden.

Angewiesen auf Opposition

Die Regierung braucht für die Verfassungsänderungen zudem einige Oppositionspolitiker – insgesamt 93 der 120 Abgeordneten müssen zustimmen. Das Thema Verfassungsreform reißt in Albanien außerdem alte Wunden auf und wird machtpolitisch betrachtet. Denn die letzte Verfassungsreform im Jahr 2008 war von parteipolitischen Interessen gezeichnet. Auch die Bestellung des Generalstaatsanwalts wurde damals neu geregelt. Die jetzige Generalstaatsanwaltschaft zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass kaum Verfahren gegen Beamte und Politiker geführt werden.

Ilir Meta, Parlamentspräsident und Chef der Oppositionspartei Sozialistische Bewegung für Integration (LSI).

Deshalb wird auch die jetzige Verfassungsreform danach bewertet, welche Partei davon profitieren könnte. Die Opposition ist vor allem dagegen, dass die Generalstaatsanwaltschaft und die Sonderstaatsanwaltschaften, die die Korruption bekämpfen sollen, stärker kontrolliert werden. Manche Politiker haben auch Angst, dass sie selbst drankommen könnten.

Ein Politiker, ohne den man in Albanien keine Koalition machen kann, ist Ilir Meta, der Chef der kleinen Partei Sozialistische Bewegung für Integration (LSI). 2011 wurde ein Video von Meta veröffentlicht, das ihn dabei zeigt, wie er versucht, eine Ausschreibung für den Bau eines Kraftwerks zu manipulieren. Ein Jahr später wurde er vom Vorwurf der Korruption mangels Beweisen freigesprochen – das Video war als Beweismittel nicht angenommen worden.

Referendum angedacht

Premier Edi Rama muss also damit rechnen, dass die Opposition bei der Verfassungsreform nicht mitmacht. Gedacht ist deshalb bereits daran, dass man die Änderungen im Justizsystem mittels eines Referendums umsetzt. Das hätte zumindest den Vorteil, dass dann in der Öffentlichkeit mehr über das Thema Korruption geredet wird.

In einem System, in dem Parteien so stark von Oligarchen gesteuert werden, ist es für die Politik schwierig, die Justiz zu reformieren. Im Moment läuft eine Untersuchung gegen das Gesundheitsministerium – es geht darum, dass bestimmte Firmen bei öffentlichen Aufträgen favorisiert worden sein sollen. Rama scheint sich zumindest der Mammutaufgabe bewusst zu sein: "Wir haben keine korrupten Richter, wir haben eine total korrupte Justiz, die wie ein Konzern agiert, wie eine gewinnorientierte Industrie." (Adelheid Wölfl, 27.1.2016)

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Albaniens Premier Edi Rama (rechts) und EU-Ratspräsident Donald Tusk Ende November 2015.
Foto: EPA