Wien – Wenn es stimmt, was ihm Staatsanwältin Katharina Stauber vorwirft, ist Lütfü D. ein außergewöhnlich skrupelloser Täter. Der 21-jährige Verkäufer soll im Jahr 2014 drei minderjährige Mädchen, die jüngste 13, vergewaltigt und sie dabei teilweise mit dem Handy gefilmt haben, um sie anschließend mit den Videos zu erpressen. Eine Anklage, die er energisch bestreitet – alles sei freiwillig geschehen.

Erfahrung mit der Justiz hat der junge Mann bereits. "Haben Sie Vorstrafen", fragt ihn Beate Matschnig, Vorsitzende des Schöffensenats, zu Beginn. "6.000", lautet die verwirrende Antwort. "Nein, wie oft waren Sie schon hier?" – "Fünf- oder sechsmal, glaube ich." – "Hier steht, Sie haben drei Vorstrafen. Sind Sie nicht jedes Mal verurteilt worden?", fragt die Vorsitzende, während sie im Akt blättert. "Nein, nicht jedes Mal."

Kurz zusammengefasst soll D. seine ihm flüchtig bekannten Opfer auf Facebook kontaktiert und zu Treffen überredet haben. Dort zwang er sie mit Drohungen oder Gewalt zu Oral- und Geschlechtsverkehr. Zum Teil filmte er sie dabei, das wollen die Opfer aber nicht bemerkt haben.

Mehrere tausend Euro erpresst

Erst als er damit drohte, die Aufnahmen zu veröffentlichen beziehungsweise den Eltern zu zeigen, und die Teenagerinnen so erpresste. Von einer soll er 8.000 Euro erhalten haben, von einer zweiten goldene Armreifen im Wert von 9.000 Euro und 500 Euro in bar.

"Ich habe sie nicht gezwungen oder irgendwas", erklärt der Angeklagte dazu. Die sexuellen Handlungen seien alle freiwillig gewesen, ebenso die Filmaufnahmen. "Sie hat gesagt, sie will nachher schauen, wie sie bläst", lautet eine Begründung, die Matschnig stutzig macht. Denn gleichzeitig betont er, die Mädchen wollten nicht in der Öffentlichkeit mit ihm gesehen werden aus Angst, dass Bekannte oder Verwandte davon erfahren.

Der durchaus selbstbewusst auftretende D. vermutet darin auch den Hintergrund der Anzeigen: Zumindest zwei der mutmaßlichen Opfer sind eng befreundet, aus Angst vor der Familie würden sie nun von Gewalt berichten.

"Aber wenn sie in dieser Kultur so verfangen sind, warum lassen sie sich dann filmen? Das passt doch nicht zusammen", wirft die Vorsitzende ein. Es sei nie ein Gesicht zu erkennen gewesen, beteuert der Angeklagte.

Angeklagter glaubt an Absprache

Warum eines der Mädchen auf einem Video dann ihre Freundin anhand eines charakteristischen Kopftuchs erkannt habe? Für D. muss das abgesprochen oder ein Zufall sein. Und überhaupt gebe es von einem der Mädchen einschlägige Aufnahmen auch mit anderen Männern.

Wundern muss sich Matschnig auch, warum die Teenagerinnen Wertgegenstände der Eltern gestohlen und ihm gegeben haben sollen. Man sei eben befreundet gewesen, sagt der junge Mann. In einem Fall bat er beispielsweise um 2.500 Euro für ein neues Auto. "Sie gab mir dann 5.000, damit ich ein noch geileres kaufen kann."

Überhaupt hätten ihn die Mädchen immer wieder angelogen – sowohl über ihr Alter als auch über die Herkunft von Geld und Schmuck.

Tatsächlich sagt ein anderer 16-Jähriger als Zeuge aus, auch er habe goldene Armreifen geschenkt bekommen. Auch die waren 1.800 Euro wert. "Ich habe gesagt, wenn sie dann Probleme hat, nehme ich sie nicht", schildert dieser Zeuge.

Verurteilung schon im Sommer

Ein echtes Problem bekommt der Angeklagte allerdings, als ihm Matschnig seine bisher jüngste Vorstrafe vorhält. Die stammt aus dem Sommer 2015, als er rechtskräftig zu 18 Monaten bedingt verurteilt wurde. Der Grund: Er hatte eine Teenagerin erpresst und 16 goldene Armreifen im Wert von mehr als 10.000 Euro genommen. Seine Drohung damals: "Dann stell ich jeden Tag ein Foto rein."

Umso überraschender ist es, dass D. nicht aus der Untersuchungshaft vorgeführt wird. Denn trotz der neuen, nun verhandelten Vorwürfe sah man bei der Staatsanwaltschaft keinen Haftgrund – weder Tatbegehungs- noch Verdunkelungsgefahr.

Der Senat braucht schließlich nicht sehr lange, um ein Urteil zu fällen. Der junge Mann erhält nicht rechtskräftig eine Zusatzstrafe von drei Jahren, insgesamt drohen ihm also viereinhalb Jahre im Gefängnis, sollten auch die 18 Monate aus dem Sommer unbedingt werden.

Ausschließlich junge Musliminnen

"Wir haben Ihnen gar nichts geglaubt", begründet Matschnig die Entscheidung, die D. ohne erkennbare Gemütsregung aufnimmt. "Nur zwei der Frauen kannten sich, aber alle erzählen die gleiche Geschichte. Sie machen sich ausschließlich an junge Musliminnen heran", führt die Vorsitzende aus.

Die schon grundsätzlich bezweifelt, dass die Mädchen freiwillig Oralsex mit dem Angeklagten hatten, aber vor allem: "Ganz sicher lassen sie sich nicht dabei filmen!" Ein bedingter Teil sei in diesem Fall nicht mehr möglich, da ihn die bisherigen Verurteilungen auch nicht aufgehalten hätten. (Michael Möseneder, 27.1.2016)