Riad/Wien – "Wir werden den Weg der Stärke, den Saudi-Arabien unter König Abdullah beschritten hat, weitergehen", versicherte Salman bin Abdulaziz Al Saud anlässlich seiner Thronbesteigung nach dem Tod seines Halbbruders am 23. Jänner 2015. Diese Ankündigung erwies sich allerdings als völlig unzutreffend. Auch wenn aus der Ferne betrachtet Saudi-Arabien ein Land sein mag, in dem sich nur wenig bewegt: Ein Jahr nach dem Tod des 90-jährigen Abdullah, der 20 Jahre lang die Geschicke der saudischen Monarchie bestimmt hatte, ist kein Stein auf dem anderen.

Am 23. Jänner 2015 nahm König Salman bin Abdulaziz Al Saud die Loyalitätsbezeugungen entgegen, sein Halbbruder Abdullah war soeben verstorben.
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Die Veränderungen betreffen vor allem die Außenpolitik eines Staates, der früher für eine Status-quo-Politik stand, die ihre Aktivitäten meist hinter den Kulissen entfaltete. Stattdessen steht Riad heute für eine aktive, aggressive Politik nach außen, die keine Scheu hat, Porzellan zu zerschlagen; auch nicht mit den alten strategischen Verbündeten, den USA. Deren "Passivität" im Nahen Osten zwinge Saudi-Arabien zum Handeln im Alleingang, ist die Selbstsicht in Riad.

Allerdings sind sich politische Beobachter nicht einig, ob immer alles so geplant ist, wie es dann läuft – ob etwa die Eskalation mit dem Iran nach der Hinrichtung des saudi-arabischen schiitischen Ayatollahs Nimr al-Nimr Anfang Jänner gar gewünscht war -, oder ob es sich dabei um "Impulsivität" handelt. Dieses Urteil fällte der deutsche Bundesnachrichtendienst in einem Bericht über die saudische Politik.

Schiitische Frauen in Qatif protestieren nach der Hinrichtung von Ayatollah Nimr al-Nimr zu Beginn des Jahres.
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Kritik an Jemen-Einsatz

Es ist ungewöhnlich, dass so ein Papier öffentlich wird – und Ausdruck einer internationalen Sorge. So wird vor allem das Engagement Saudi-Arabiens im Jemen-Krieg, das seit März 2015 läuft, kritisch gesehen, denn genaue Pläne für eine Befriedung des Jemen und politische Exitszenarien scheinen in Riad nicht zu existieren. Es geht nur um die Konfrontation mit dem Iran.

Dass der Wirbelwind in Riad nicht Salman heißt, liegt auf der Hand. Für den 80-Jährigen kam die Thronbesteigung eigentlich zu spät. Zwar widersprechen Riad-Besucher den Behauptungen vom schlechten Geisteszustand des Königs, aber dass seine Kräfte nachlassen, wird dennoch immer wieder deutlich. Als treibende Kraft hinter seinen Entscheidungen gilt sein Sohn Mohammed, 30, Vizekronprinz, Verteidigungsminister und in allen wichtigen Institutionen präsent.

Damit Mohammed bin Salman, auch MbS genannt, zu einer fixen Position in der Thronfolge aufrücken konnte, musste zuerst der von Abdullah – eigentlich per unabänderlichem Dekret – eingesetzte Kronprinz Muqrin weichen. MbS werden Ambitionen nachgesagt, auch den vor ihm liegenden Mohammed bin Nayef (MbN), Innenminister und Neffe des Königs, zu überholen. Wenn man dem anonymen Twitterer "Mujtahidd" glaubt, der die Welt mit saudischem Hofklatsch versorgt, dann rutscht der besonnene MbN immer mehr in die Isolation.

Die Nächsten in der Thronfolge sind die "beiden Mohammeds": Kronprinz Bin Nayef (re.) und Vizekronprinz Bin Salman.
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Dabei hat er die Politik nach der Thronbesteigung Salmans entscheidend mitgestaltet – gewisse Korrekturen wurden allgemein begrüßt. Unter König Abdullah war seit 2011 eine Menge Energie dem Kampf gegen die Muslimbruderschaft gewidmet gewesen: Diese war vor allem in Ägypten, aber auch in Tunesien und in einem gewissen Ausmaß auch in Libyen nach dem Sturz der dortigen Regime in die sich öffnenden politischen Räume vorgedrungen.

Die salafistischen Königreiche am Golf witterten eine islamistische republikanische Gefahr auch für sich selbst. Mit Begeisterung unterstützte Saudi-Arabien in der Folge im Sommer 2013 den Sturz des Muslimbruder-Präsidenten Mohammed Morsi durch General Abdelfattah al-Sisi in Ägypten.

Korrekturen

Abdullahs Nachfolger fanden jedoch, dass diese Politik erstens die ihrer Ansicht nach größte Gefahr für die Golfaraber relativierte: den Iran. Und zweitens wurde die Fixierung auf die Muslimbrüder-Frage für das Scheitern der Syrien-Politik Saudi-Arabiens zumindest mitverantwortlich gemacht. Denn die sunnitischen Länder, die sich als Schutzpatrone der Opposition gegen das mit dem Iran verbündete Assad-Regime betätigten, unterstützten je nach ihrer Muslimbrüder-Sympathie (Türkei, Katar) oder -Antipathie unterschiedliche Gruppen. An den Rändern der fraktionierten Opposition wuchs und gedieh der "Islamische Staat" – der auch Saudi-Arabien im Visier hat.

Unter König Salman versucht Saudi-Arabien hingegen einen sunnitischen Schulterschluss, nicht nur der Araber, zustande zu bringen. Es gelingt nur unzureichend: Denn nicht alle Freunde und Partner, etwa das wichtige Pakistan, wollen die bedingungslose Gegnerschaft zum nach dem Atomdeal aus den Sanktionen entlassenen Iran mittragen. (Gudrun Harrer, 28.1.2016)