Seegraswiesen zählen zu den umfangreichsten Ökosystemen der Erde – ihre Bestände sind allerdings ebenso bedroht wie Korallenriffe und Regenwälder.

Foto: Christoffer Boström

Kiel – Seegräser der Gattung Zostera sind die einzigen Blütenpflanzen der Welt, die den Weg vom Land zurück ins Meer gefunden haben. Die Rückkehr stellt eine extreme Anpassungsleistung dar, denn etwa die schlechteren Lichtbedingungen und der Salzgehalt dürften nicht leicht zu überwindende Hürden gewesen sein. Welche Zwischenschritte die dabei Pflanzen absolviert haben, hat sich in ihr Genom eingeschrieben. Koordiniert von den Universitäten Groningen in den Niederlanden und Gent in Belgien sowie vom GEOMAR in Kiel haben nun 20 wissenschaftliche Arbeitsgruppen aus neun Ländern erstmals das Erbgut des Großen Seegrases (Zostera marina) entschlüsselt.

Seegras hat eine enorme ökologische und wirtschaftliche Bedeutung, die aber immer noch unterschätzt wird. Seegraswiesen bilden unter anderem Brutplätze für Fische, Verstecke für Jungfische und Lebensraum für Muscheln, Schnecken und Krebse. Sie zählen damit neben Korallenriffen und Regenwäldern zu den produktivsten und diversesten Ökosystemen der Erde. "Über die Genomsequenzierung wollten wir Aufschlüsse über die einzigartige Evolution der Seegräser gewinnen", sagt Thorsten Reusch vom GEOMAR, einer der drei Koordinatoren und Mitautor der Studie, die nun in der Fachzeitschrift "Nature" erschienen ist.

Anpassung an das Leben im Meer

Für die Wissenschaft ist das Große Seegras auch deshalb interessant, weil es sich als ursprüngliche Landpflanze evolutionär wieder an das Meeresleben anpassen konnte. Die Vorfahren des heutigen Zostera marina sind einkeimblättrige Pflanzen, zu denen auch Weizen oder Weidelgras gehören. Das Team fand heraus, dass im Lauf der Entwicklungsgeschichte zahlreiche Anpassungen an das Landleben verloren gingen, weil diese nicht mehr benötigt wurden. Dazu zählen der Aufbau von Stützgewebe oder spezielle Mechanismen, um sich gegen Verdunstung zu schützen.

Im gleichen Maße sind neue Gene erschienen, die Anpassungen während der Rückkehr in den Lebensraum Meer darstellen. So konnten die Forscher Genfamilien identifizieren, die eine Bestäubung unter Wasser ermöglichen und den Pflanzen helfen, mit hohen Salzgehalten, geringen Lichtstärken sowie einer veränderten Parasitenzusammensetzung zurecht zu kommen. Weitere vergleichende Genomanalysen zeigten, dass die Ausbreitung der Seegräser zusammenfällt mit dem Ende der Kreidezeit vor etwa 67 Millionen. Damals starben vermutlich nach einem Meteoriteneinschlag rund 70 Prozent aller Tiere und Pflanzen aus.

Rückgang der Seegraswiesen

Seegras hat heute für die Meeresökologie eine enorme Bedeutung. "Ohne Seegras ist der Meeresboden nur ein zweidimensionaler Sandgrund. Mit Seegras handelt es sich hingegen um einen reich strukturierten dreidimensionalen Lebensraum", betont Reusch. In den vergangenen Jahren sind Seegraswiesen – vor allem durch Überdüngung und direkte Zerstörung des Lebensraums – weltweit stark zurückgegangen. Die allgemeine Klimaerwärmung bedroht die Pflanzen zusätzlich. Wärmetolerante Bestände aus südlichen Regionen könnten eine "genetische Rettung" für nördlichere Bestände sein, so der Biologe. Das nun publizierte Genom kann dabei eine wichtige Grundlage bilden, um die am besten geeigneten Genotypen auszuwählen.

Auch für die Biotechnologen ist die Genomsequenzierung von großem Interesse, denn Seegräser können unter Salzgehalten existieren, die für Nutzpflanzen tödlich wären. "Somit bietet das Genom eine wertvolle Ressource für Biotechnologen, um Anpassungen an Versalzung bei Nutzpflanzen zu untersuchen", erklärt Reusch. (red, 29.1.2016)