Der babylonische Gott Marduk wurde mit Jupiter gleichgesetzt.

Foto: Rmashhadi/Musée du Louvre

Die alten Babylonier hatten bereits überraschend detaillierte astronomische Kenntnisse. Auf dieser Tontafel aus dem Jahr 164 vor unserer Zeitrechnung etwa wurden Beobachtungen des Kometen Halley festgehalten.

Foto: Gavin Collins/ British Museum

Dies ist die Keilschrifttafel mit den verblüffenden Trapez-Berechnungen. Die Skizze visualisiert die mathematische Methode: Die Distanz, die Jupiter in 60 Tagen zurücklegt, 10 Grad 45 Minuten, wird berechnet als die Fläche der Trapez-Figur. Um die Zeit (tc) zu berechnen, in der Jupiter die Hälfte dieser Distanz zurücklegt, wird das Trapez dann in zwei kleinere Trapeze mit gleicher Fläche geteilt.

Foto: Mathieu Ossendrijver (HU)

Berlin/Wien – Jupiter ist nicht nur der größte Planet unseres Sonnensystems. Er ist auch das vierthellste Objekt am Nachthimmel. Da er von der Erde aus mit bloßem Auge zu erkennen ist, war der Gasriese bereits in der Antike bekannt.

Bei den alten Babyloniern genoss der Planet besondere Verehrung: Marduk, die höchste Gottheit Babylons, wurde mit Jupiter gleichgesetzt. Der besonderen Wertschätzung entsprach auch ein beeindruckendes Wissen über die Himmelskörper.

Bereits Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung analysierten die Astronomen Mesopotamiens die Bewegungen der Sonne, des Mondes und einiger Planeten streng empirisch. Und sie dürften dabei bereits über Berechnungsmethoden verfügt haben, die erst mehr als 1400 Jahre später in Europa neu erfunden wurden und eine Art Vorstufe zur Infinitesimalrechnung darstellen, wie der Wissenschaftshistoriker Mathieu Ossendrijver nun im Fachmagazin "Science" behauptet.

Rätselhaftes Trapez

Ossendrijver ist Astronom und Keilschriftexperte an der Humboldt-Universität zu Berlin, in den letzten 14 Jahren verbrachte er jährlich eine Woche im British Museum, um dort Tafeln mit astronomischen und mathematischen Texten zu studieren. Der Forscher stand nämlich seit vielen Jahren vor einem Rätsel: Er hatte auf zwei astronomischen Tontafeln, die zwischen 2050 und 2350 Jahre alt sind, auch die Beschreibung eines Trapezes gefunden, das prima vista nichts mit astronomischen Fragen zu tun hatte.

Ähnliche Beschreibungen hatte er auf mathematischen Tafeln entdeckt, die rund 1500 Jahre älter waren. Gab es da einen Zusammenhang? Zur spektakulären Lösung des Rätsels trug der emeritierte österreichische Assyriologe und Wissenschaftshistoriker Hermann Hunger (Uni Wien) bei, der Ossendrijver Ende 2014 ein altes Foto einer Tontafel aus dem British Museum zukommen ließ.

Frühes Zeit-Geschwindigkeits-Diagramm

Dadurch wurde nämlich offensichtlich, dass es sich bei den geometrisch-arithmetischen Berechnungen mit dem Trapez um die Bahn des Jupiter handelt, dessen Bewegung am Sternenhimmel sich immer wieder beschleunigt und verlangsamt. Das wiederum bedeutet, dass die Babylonier bereits eine Art Zeit-Geschwindigkeits-Diagramm verwendeten, das erst im 14. Jahrhundert in Europa "wiedererfunden" wurde und eine einfache Vorform der Infinitesimalrechnung darstellt.

Zwar benützten auch die alten Griechen Arithmetik und Geometrie für astronomische Berechnungen, so Ossendrijver. An die Abstraktion der unbekannten babylonischen Astronomen und Mathematiker sind sie aber nicht herangekommen. (Klaus Taschwer, 29.1.2016)