Mit Ende 2015 lief die seit 2010 geltende EU-Gleichstellungsstrategie aus. Darin wurden Ziele wie etwa existenzsichernde Arbeitsplätze für Frauen, Gleichheit in Führungspositionen oder die Bekämpfung geschlechterspezifischer Gewalt formuliert. Frauenpolitikerinnen und -organisationen forderten bereits im Laufe des letzten Jahres immer wieder die Fortsetzung einer EU-Gleichstellungsstrategie, die jedoch von der zuständigen Kommissarin für Justiz, Verbraucher und Gleichstellung, Věra Jourová, bis heute nicht in Auftrag gegeben worden ist. Die grüne Europa-Parlamentarierin Monika Vana kritisiert die derzeit vorliegende Alternative.
STANDARD: Statt einer EU-Gleichstellungsstrategie gibt es nun ein "internes Arbeitspapier", wie Sie es in einer Aussendung nannten. Sie sprachen auch von einer "massiven Verschlechterung" für Gleichstellungsbestrebungen. Warum?
Vana: Es ist ein absolutes Downgrading der Gleichstellungspolitik. Und das ist klar ein Versagen der Europäischen Kommission. Der Europäische Rat hingegen will eine Gleichstellungsstrategie, das hat er zuletzt vor Weihnachten gefordert. Auch das Europäische Parlament verlangt nach einer solchen Strategie. Stattdessen haben wir ein sogenanntes "Staff Working Document". Der Name sagt ja schon viel aus. Es ist kein politisches Steuerungsinstrument, auf das man sich verbindlich berufen kann. Es enthält lediglich einige Punkte, die sich die Kommission in den nächsten Jahren vornehmen will. Darin ist aber keine politische Strategie enthalten, wie Frauen gefördert werden können. Eine breite Gleichstellungsstrategie sollte von der Kommission entworfen und dann vom Europäischen Parlament und vom Rat beschlossen werden. Die Mitgliedstaaten müssen sich dazu bekennen, dass Gleichstellung ein prioritäres Thema ist.
STANDARD: Sie sagen, auf die Gleichstellungsstrategie habe man sich berufen können. Verbindlich war diese aber doch auch nicht.
Vana: Wenn der Rat einmal eine Strategie beschlossen hat, ist es durchaus leichter, entsprechenden Druck im Europaparlament zu machen und Forderungen zu stellen. Natürlich ist nicht im juristischen Sinne etwas einklagbar, aber sehr wohl im politischen. Es gibt sehr viele Strategien, etwa die Klimastrategie, und man muss das auch nicht überbewerten, denn es braucht letztlich konkrete Maßnahmen, um eine Strategie auch politisch umzusetzen. Aber politischer Druck kann dennoch besser mit einer beschlossenen Strategie ausgeübt werden.
STANDARD: Warum der geringe Stellenwert der Gleichstellungspolitik in der EU?
Vana: Die aktuelle Kommission ist in Sachen Frauenpolitik rückschrittlicher. Die vorige Kommission hatte wenigstens Initiativen wie "Women on Boards" für mehr Frauen in Führungsjobs und die Mutterschutzrichtlinie. Ich sehe im sogenannten Refit-Programm der Kommission einen Rückschritt, offiziell soll es eine "schlanke Verwaltung" bringen. Damit werden aber unliebsame Themen wie Sozialpolitik oder Frauenpolitik auf das Abstellgleis geführt. Die neoliberale Agenda mit ihrem Fokus auf die Wirtschafts- und Währungsunion und auf Defizitkriterien soll als hauptsächliches Ziel der Union durchgezogen werden. Alle anderen Bereiche werden in die Subsidiarität der Mitgliedstaaten verschoben. Das ist der falsche Weg.
STANDARD: Was ist mit dem Richtlinienentwurf zur Gesetzesinitiative "Women on Boards" passiert?
Vana: Deutschland verweigert hier unverständlicherweise die Unterstützung, obwohl die deutsche Gesetzgebung genau in diese Richtung geht. Die Richtlinie, die jetzt auf dem Tisch liegt, ist ohnehin schon eine Minimallösung: 40 Prozent bis 2020 für das unterrepräsentierte Geschlecht – das können auch Männer sein. Sanktionen würden ausschließlich bei den Mitgliedstaaten liegen. Würde die Richtlinie verabschiedet werden, würde sie keine einzige Sanktion für irgendeinen Mitgliedstaat, irgendein Unternehmen, das die Quote nicht erfüllt, bedeuten. Das ist eine Schmalspurvariante. Doch selbst für die ist keine Mehrheit mehr im Rat zu finden.
STANDARD: Die Mutterschutzrichtlinie wurde bereits zurückgezogen. Was hätte die gebracht?
Vana: Einen besseren Mindeststandard für den Mutterschutz, und auch Mindeststandards beim Vaterschaftsurlaub – das wäre für Österreich wichtig gewesen. Zwei Wochen Vaterschaftsurlaub sollten auf jeden Fall bezahlt werden, was über die derzeitige Regelung in Österreich hinausginge. Beim Mutterschutz sind wir in Österreich ja gut, aber für andere Länder hätte es eine massive Verbesserung bedeuten können. Das ist jetzt leider vom Tisch.
STANDARD: Unterschiedliche Standards zeigen sich nun auch angesichts der sexualisierten Gewalt in der Silvesternacht in Köln. In Deutschland wird nun eine Reform des Sexualstrafrechts gefordert. Wären hier nicht auch Mindeststandards nötig? Und was kann die EU tun?
Vana: Die Frage des Sexualstrafrechts sollte nicht mit der Flüchtlingsfrage verknüpft werden. Die Frage, wie ernst eine Gesellschaft das Strafrecht und Übergriffe auf Frauen nimmt, war bisher schon ein virulentes Thema, das jetzt von rechten Kräften stark missbraucht wird, um es zu einer Antiflüchtlingsdebatte zu machen. Die bisherigen Statistiken zu Gewalt gegen Frauen haben bisher wenige interessiert – obwohl es alarmierende Zahlen sind.
Wir fordern dringend den Beitritt der EU zur sogenannten Istanbul-Konvention des Europarats. Das ist die verbindlichste europaweite Rechtsnorm gegen häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen. Und es ist eine sehr gute Konvention. Österreich hat sie übrigens im Juli 2013 ratifiziert. Derzeit laufen entsprechende Diskussionen auf EU-Ebene bezüglich eines Beitritts. Wir fordern auch einen Legislativvorschlag der EU für Mindestnormen im Sexualstrafrecht. Das ist keine neue Forderung, scheint aber nun aktuell zu sein, weil dieses Thema jetzt eine grenzüberschreitende Dimension hat. Die gab es allerdings schon immer. (Beate Hausbichler, 1.2.2016)