Vor anderthalb Jahren sagte Sebastian Kurz noch, es gebe zu wenig "Willkommenskultur" für Zuwanderer. Kürzlich sagte er aber: "Die Willkommenskultur war falsch." Und die Medien und NGOs müssten schauen, dass zwischen ihnen und der Bevölkerung keine Kluft entstehe.

Der Begriff "Willkommenskultur" ist ein rechter Kampfbegriff geworden, fast so wie "Gutmensch". Rechtsintellektuelle Kommentatoren sprechen sogar abschätzig von "Willkommenskarneval".

Aber das ist alles ein Schmäh, der mit der Realität wenig zu tun hat. Welche Willkommenskultur denn? Erinnern wir uns, wie alles im vorigen Sommer angefangen hat. Die Öffentlichkeit, die Politik und die Behörden waren plötzlich mit einem Zustrom von tausenden Flüchtlingen konfrontiert. Angefangen hat es am 3. September, als sich von Budapest aus Tausende über die Autobahn Richtung Grenze bei Nickelsdorf zu Fuß auf den Weg machten. Was hätte man tun sollen? Schießen? Stattdessen setzte man auf Improvisation. Die Behörden bemühten sich um eine gewisse Organisation, die ÖBB setzten die Leute in Züge, und ein paar dutzend, dann im Laufe der Zeit ein paar hundert und ein paar tausend freiwillige Helfer verteilten Essen und Decken.

Die Medien berichteten groß darüber. Na, und? Das war/ist ihre Aufgabe in Zeiten eines der größten Ereignisse des neuen Jahrhunderts. Die Kommentierung war anfangs nicht feindselig – nicht einmal in den einschlägigen Krawall-Massenblättern, zu ihrer Ehre sei es gesagt. Aber "Karneval" oder Bejubelung? Weil ein paar Leute Pappschilder mit "welcome" hochhielten? Weil sich die liberale Minderheit im Lande freute, dass einmal nicht sofort ein Sturm an Fremdenhass und Aggressivität losbrach? Wie paranoid ist das denn?

Sehr bald gab es ja auch das Gegenteil von "Willkommenskultur", nämlich größtenteils erstunkene und erlogene Berichte im Netz über Flüchtlinge, die angeblich Supermärkte plündern und massenhaft Frauen vergewaltigen.

Selbstverständlich ist die Stimmung umgeschlagen, als der Strom kein Ende nehmen wollte und es auch zu vereinzelten Übergriffen gekommen ist. Vor allem aber, als die Erkenntnis einsetzte, dass sich unter echte Kriegsflüchtlinge viele ohne Chance auf Asyl mischten. Und weil sich die berechtigte Frage stellte, ob und wie lange der Strom anhalten würde.

Ein vorläufiges Fazit muss lauten: Es hat ein Elementarereignis gegeben, mit dem die österreichische Gesellschaft recht und schlecht fertig zu werden versuchte und versucht. Viele haben sich da idealistisch eingebracht. Von einer massenhaften Euphorie kann aber keine Rede sein. Das Gerede von der "Willkommenskultur" ist schäbige Wahrheitsverdrehung.

Jetzt geht es um die Gestaltung der Zukunft. Die EU scheint aktuell einen Plan zu haben: Sie nimmt auf fünf Jahre pro Jahr 200.000 "echte" Flüchtlinge in geordneter Weise auf, die anderen werden zurückgeschoben, vor allem in die Türkei. Diese stimmt angeblich zu. Es wäre eine vertretbare Lösung. (Hans Rauscher, 29.1.2016)