Relikte aus der Altsteinzeit in der Fundstelle Schöningen: Ein aus Feuerstein hergestellter Schaber inmitten von Pferdeknochen.

Foto: Klaus Cornelius

Aus Knochen der Säbelzahnkatze Homotherium fertigte Homo heidelbergensis Werkzeuge an.

Foto: Volker Minkus

Tübingen – Homo erectus war die erste Menschenart, die sich von Afrika aus über einen großen Teil der Welt ausbreitete. In Europa entwickelte sich aus diesem Kosmopoliten vor etwa 600.000 Jahren der Homo heidelbergensis, aus dem vor 200.000 Jahren der Neandertaler hervorging: Etwa zur selben Zeit, in der sich aus in Afrika verbliebenen Populationen des Homo erectus der moderne Mensch entwickelte.

Der vielleicht erste Europäer war damit unser Cousin und nur ein Vorläufer, kein direkter Vorfahre. Da inzwischen belegt ist, dass wir auch Spuren von Neandertaler-DNA in uns tragen, ist aber auch dieser Seitenzweig der menschlichen Evolution zum Teil in den menschlichen Genpool zurückgekehrt.

Aktueller Wissensstand

Der noch vor einem Jahrhundert als halb-äffisch verkannte Neandertaler ist längst "rehabilitiert". Aber auch der Homo heidelbergensis war dem heutigen Menschen schon viel ähnlicher, als lange Zeit vermutet wurde, berichtet die Universität Tübingen. In einem Sonderband des "Journal of Human Evolution" wird der aktuelle Forschungsstand zu diesem Ur-Europäer präsentiert.

In diesem Band, der auch zum kostenlosen Download angeboten wird, referieren Paläoanthropologen, was über Sozialgefüge, Waffen- und Werkzeugbau und das natürliche Umfeld des Homo heidelbergensis bekannt ist. Als Schlüsselfundplatz wird ein ehemaliger Braunkohletagebau im niedersächsischen Schöningen genannt. Seit 1994 geben hier zahlreiche Funde Aufschluss über Klima, Umwelt und Leben vor 300.000 Jahren. Seit 2008 führt die Uni Tübingen unter der Leitung von Nicholas J. Conard und Jordi Serangeli dort Ausgrabungen durch.

Zahlreiche Funde

Holz-, Stein- und Tierknochenartefakte geben Aufschluss darüber, wie die Menschen vor 300.000 Jahren wirtschafteten. Unter den bearbeiteten Knochen fand sich auch ein Oberarmknochen der eurasischen Säbelzahnkatze (Homotherium latidens), der als Schlagwerkzeug diente. Damit ist er der weltweit einzige Knochen eines solchen Tieres, der vom Mensch zu einem Werkzeug umfunktioniert wurde. Nicht zuletzt konnten durch die Funde Natur- und Klimaveränderungen im Lauf der Jahrtausende rekonstruiert werden.

Vorgestellt werden auch die ältesten vollständig erhaltenen Speere der Welt, einzeln und im Kontext mit Stein- und Knochenartefakten. Sie wurden auf einem altsteinzeitlichen Schlachtplatz gefunden und zeigen, dass die Menschen in Schöningen als erfolgreiche Jäger in der Lage waren, zu planen und gemeinsam vorzugehen: Klare Hinweise auf ein Sozialgefüge, wie man es früher nur dem Homo sapiens zugetraut hätte.

Ohne Feuer?

Lange ging man davon aus, dass in Schöningen auch die frühesten Belege für Feuernutzung in Europa gefunden wurden, so die Uni Tübingen weiter. Die Wissenschafter kamen nach dem Einsatz modernster Untersuchungsmethoden inzwischen aber zu dem Schluss, dass es sich bei den Fundstätten nicht um Feuerstellen handelt. "Dies wirft die Frage auf, ob die Menschen das eiszeitliche Mitteleuropa eventuell auch ohne Feuernutzung besiedelt haben könnten", sagt Christopher Miller vom Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie der Uni Tübingen. (red, 1. 2. 2016)