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Der mazedonische Oppositionsführer Zoran Zaev fordert vor den Wahlen die Berichtigung der Wählerlisten und ein neues Mediengesetz.

Foto: ap/Boris Grdanoski

STANDARD: Ihre Partei, die SDSM, will nicht an den Wahlen, die für den 24. April geplant waren, teilnehmen. Welche Bedingungen müssen zuvor erfüllt sein?

Zaev: Wir haben ja um diese vorgezogenen Wahlen gekämpft und bewiesen, dass die letzten Wahlen gefälscht waren. Deswegen kam es auch zu der Pržino-Vereinbarung vergangenes Jahr im Sommer, die besagt, dass wir freie Wahlen, eine glaubwürdige Wählerliste, die von einer unabhängigen Wahlkommission bereinigt wurde, und Medienfreiheit brauchen. Selbst in Österreich – so nehme ich an – gibt es keine hundertprozentig gleiche Beteiligung an der Wahlberichterstattung. Aber in unserem Fall werden 85 Prozent der Medien von der Regierung abgedeckt. Wir fordern nur eine annähernd gleiche Chance. Wir folgen einem Vorschlag für ein neues Mediengesetz, der von der internationalen Gemeinschaft gemacht wurde. Aber unser Herausforderer, die Regierungspartei VMRO-DPMNE, weigert sich, überhaupt darüber zu sprechen.

STANDARD: Nun soll es eine Vereinbarung zwischen den Parteien geben, bei der es um die Wahlberichterstattung im Staatsfernsehen geht. Wie steht es damit?

Zaev: Wir folgen einem Vorschlag für ein neues Mediengesetz, der von der internationalen Gemeinschaft gemacht wurde. Aber unser Herausforderer, die Regierungspartei VMRO-DPMNE, weigert sich, überhaupt darüber zu sprechen. Die Manager des Staatsfernsehens MRTV und der Regulierungsbehörde AVMU sind Mitglieder der regierenden Partei. Wir wollen so schnell wie möglich Wahlen, aber sie müssen frei und fair sein. Und wenn wir freie und faire Wahlen haben, dann bekommen wir eine Empfehlung zur Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen von der Kommission.

STANDARD: Also wann können nun die Wahlen stattfinden?

Zaev: Wenn die Wahlkommission heute beginnt, die Wahlregister zu überprüfen, braucht diese 85 bis 90 Tage. Wir denken, dass es viele Ungereimtheiten gibt, fraglich sind 100.000 gefälschte Wähler. Laut dem Gesetz müssen die Wahlregister 50 Tage vor der Abhaltung der Wahlen überprüft sein. Das wäre am 5. März. Aber bis dahin haben wir nur mehr 34 Tage und nicht 90 Tage. Wenn die Wahlkommission aber in der Lage ist, die Wahllisten bis zum 15. April zu verifizieren, dann ist es möglich, dass wir am 5. Juni Wahlen haben. Warum der 5. Juni? Weil danach der Ramadan beginnt. Und da gibt es die Tradition, dass die Muslime fasten. Und ab dem 8. Juni werden dann die Leute alle auf Urlaub sein. Und da wird es schwierig sein, Wähler zu finden.

STANDARD: Seit November ist Ihre Partei in der technischen Übergangsregierung. Auch die EU-Kommission besteht nicht auf den 24. April. Internationale Experten wollen nun aber bis 20. Februar überprüfen lassen, ob die Voraussetzungen für die Wahl gegeben sind.

Zaev: Auch Kommissar Hahn weiß, dass man ohne die Verifizierung der Wählerlisten keine Wahlen machen kann.

STANDARD: Wegen der Abhängigkeit der Menschen von den Parteien ist in der Region Südosteuropa ein Regimewechsel durch Wahlen schwer zu erreichen – siehe Montenegro und Kosovo. Und obwohl hier in Mazedonien die Leute abgehört wurden und Amtsmissbrauch und Korruption zum Vorschein kamen und obwohl es die Feuergefechte in Kumanovo gab, gibt es viele Leute, die auch diesmal die Regierungspartei VMRO-DPMNE wählen werden.

Zaev: Wir sind vielleicht das erste Land auf der Erde, das mit viel Geduld und Verhandlungen einen Regimewechsel durch Wahlen erreichen kann. Ich hoffe, dass ich nicht falsch liege. Ich bin seit 20 Jahren in der Politik, ich bin Bürgermeister. Ich weiß dass es die Vetternwirtschaft wegen dieses Regimes gibt.

STANDARD: Die gibt es überall, unabhängig von dieser Regierung.

Zaev: Okay, aber wir haben weniger als 1,6 Millionen Einwohner. Und wir haben mehr als 180.000 Leute in der Verwaltung, und wenn die nicht für die Regierungspartei wählen, dann verlieren die ihren Job oder sie verlieren die Sozialunterstützung oder Hilfen für die Landwirtschaft. Aber jetzt gibt es in der technischen Übergangsregierung einen Sozialminister unserer Partei. Und Gruevski (Expremier, Anm. der Red.) und der Chef der Geheimpolizei, sein Cousin, sind nicht mehr im Amt. Die wichtigsten Leute sind draußen. Alles, was wir bisher erreicht haben, ist von Vorteil für eine bessere Situation.

STANDARD: Mithilfe der EU-Vermittlung wurde eine Sonderstaatsanwaltschaft zur Aufklärung des Abhörskandals und der Feuergefechte in Kumanovo eingesetzt. Sind Sie damit zufrieden?

Zaev: Ich weiß, dass die hart arbeiten. Ihr Job ist es, Politiker zu untersuchen. Wenn diese kriminell sind, wird es Anklagen geben. Meine Erwartung ist, dass es sobald als möglich Anklagen gibt.

STANDARD: Prinzipiell sind die Wahlen und die Arbeit der Sonderstaatsanwaltschaft nicht miteinander verbunden.

Zaev: Aber sie haben Einfluss aufeinander.

STANDARD: Wollen Sie deshalb die Wahlen verschieben?

Zaev: Nein, wir wollen nur freie und faire Wahlen.

STANDARD: Aber dann dürfen Sie die beiden Dinge nicht verbinden.

Zaev: Das möchte ich nicht. Aber einer der Gründe, weshalb wir für die Sonderstaatsanwaltschaft gekämpft haben, ist, dass wir mit den Bürgern aufgrund rechtlicher Beweise unsere Argumente teilen. Es geht uns um die Überprüfung der Wählerlisten und um die Medienfreiheit. Wenn die zwei Dinge vorhanden sind, dann sind wir für die Wahlen bereit.

STANDARD: Wenn Sie mit den Bedingungen für die Wahl zufrieden sind und aber trotzdem die Wahlen verlieren, werden Sie dann wieder auf die Straße gehen und das Parlament boykottieren?

Zaev: Wenn die Wahlen frei und regulär sind, haben wir keine Chance mehr, auf die Straße zu gehen oder das Parlament zu verlassen. Wir brauchen eine volle Legitimität des Wahlgewinners. Das ist für die Stabilität des Staates, aber auch wegen der Flüchtlingskrise wichtig.

STANDARD: Die griechisch-mazedonische Grenze wird jetzt viel genauer kontrolliert, und die Flüchtlinge werden nur mehr langsam durchgelassen. Die EU will Frontex dorthin schicken. Sind Sie dafür?

Zaev: Wir sind ein kleines Land, eine Lösung geht nur in Koordination mit den anderen Staaten. Sogar Deutschland ist nicht in der Lage, allein eine Lösung zu finden. Mazedonien ist gemeinsam mit Serbien eine Art Terrasse – denn die anderen Staaten sind EU-Mitglieder. Für uns ist die Situation aber am schwierigsten, weil wir nicht so große Management-Ressourcen haben und nur ein mittelentwickeltes Land mit finanziellen Schwierigkeiten sind. Wenn wir also eine Frontex-Mission für ein gemeinsames Management der Krise bekommen, ist das gut. Zurzeit werden nur Kriegsflüchtlinge aus Afghanistan, Syrien und dem Irak nach Mazedonien reingelassen, die anderen abgewiesen.

STANDARD: Und mazedonische Sicherheitskräfte schicken sie zurück nach Griechenland. Soll das künftig die Frontex machen?

Zaev: Ja.

STANDARD: Zurzeit gibt es einen etwa 20 Kilometer langen Zaun an der Grenze. Denken Sie, dass es künftig notwendig sein wird, den Zaun noch länger zu bauen?

Zaev: Ich bin Sozialdemokrat und eigentlich dagegen. Aber wir müssen auch unsere Bürger schützen. Man weiß nie, was passieren wird. Wir müssen einen Weg finden, solidarisch mit den Flüchtlingen zu sein und Autonomie und Frieden in unserem Land zu wahren.

STANDARD: Also schließen Sie einen längeren Zaun nicht aus?

Zaev: Ja.

STANDARD: Manche mazedonischen Sicherheitskräfte schlagen Flüchtlinge. Ist ein Zaun weniger gewaltsam ?

Zaev: Das sind Einzelfälle. Aber ja, ein Zaun ist weniger gewaltsam. Es gibt an der Grenze Kinder und Frauen, und das macht schreckliche Bilder. Eine Träne von einem Kind zerstört die Seele von uns allen. Das sind normale Kinder, und die rennen von Bomben davon, weil diese sie zerstören können. Wir müssen da sensibel sein.

STANDARD: Die Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien ist die wichtigste Grenze in Europa in der Flüchtlingskrise. Weil man die türkisch-griechische Grenze schwer schützen kann, setzen nun einige EU-Staaten auf die Sicherung der Grenze hier.

Zaev: Ich hoffe, dass wir gemeinsam mit den europäischen Staaten eine endgültige Lösung finden. Unsere Information ist, dass das Jahr 2016 nicht angenehmer als 2015 wird, sondern schlimmer.

STANDARD: Meinen Sie, dass sogar noch mehr Flüchtlinge kommen?

Zaev: Ja, das ist unsere Information.

STANDARD: Wäre es also noch wichtiger, dass es nicht zu Gewalt an der Grenze kommt?

Zaev: Ja, und dass wir Aktivitäten der Zivilgesellschaft haben. Auch Parteileute können das machen, denn wir sind ja auch Zivilisten und können für Flüchtlinge hilfreich sein. Die Winter sind kalt, und es kommen heiße Sommer.

STANDARD: Als der Filter eingeführt wurde, dass nur mehr Afghanen, Iraker und Syrer durchgelassen werden, kam die Entscheidung aus Slowenien. Doch Mazedonien hat sie durchgeführt.

Zaev: Wir haben eine gute Kooperation, besonders mit Serbien, der serbische Innenminister ist oft an der nördlichen Grenze. Wir haben auch eine gute Zusammenarbeit mit Kroatien, aber mit Slowenien gibt es traditionell gute Verbindungen. Wenn es allen dient, dann ist es gut, diese zu nützen. Slowenien hat an erster Stelle für uns lobbyiert, dass wir ein EU-Kandidatenstaat werden. Die haben uns geholfen. Unsere Bürger wissen das.

STANDARD: Slowenien ist auch so ein kleines Land wie Mazedonien.

Zaev: Deshalb verstehen wir uns besser.

STANDARD: Griechenland anerkennt den Namen Ihres Staates nicht und blockiert seit vielen Jahren den EU- und Nato-Beitritt. Mazedonien ist jetzt aber für die EU wichtiger. Tut sich im Namensstreit ein politischer Lösungsraum auf?

Zaev: Es braucht zuerst politische Stabilität für solche ernsthaften Entscheidungen, von unserer Seite und von der griechischen Seite. Es gibt zurzeit Proteste und Krisen, und die sind das größte Hindernis. Aber es gibt auch Positives, weil die Innenminister der beiden Staaten kooperieren und die Außenminister einander treffen. Doch für eine Lösung ist zurzeit nicht der Augenblick. Aber dieser könnte nach den Wahlen in Mazedonien und nach dem Sommer in Griechenland kommen.

STANDARD: Auch der Chef der größten Albanerpartei DUI, Ali Ahmeti, hat jüngst versucht, in diesem Sinne zu vermitteln. Die DUI war und ist Teil des alten korrupten Regimes hier. Aber sie ist traditionell der Königsmacher in Mazedonien. Ist die DUI ein möglicher Koalitionspartner für Sie, falls Sie die Wahlen gewinnen?

Zaev: Wir sind offen für alle, die für dieselben Ziele kämpfen. Aber die DUI unterstützt die VMRO-DPMNE, wenn es um die Wahlen am 24. April geht. Da geht es darum, dass sie nur Druck auf uns ausüben wollen. Wir wollen zeigen, dass die multiethnische Gesellschaft entwickelt wird, aber es wird immer offensichtlicher, dass es schwierig wird, dass die DUI unser Partner ist. Die anderen fünf albanischen Parteien sind uns aber sehr nahe. Die DUI ist stark mit nichtlegalen Aktivitäten der VMRO-DPMNE verbunden. Das macht sie zu Zwillingsbrüdern. (Adelheid Wölf. 2.2.2016)