Am Griff nach zumindest einigen Schalthebeln der Macht: Burmas ehemalige Oppositionschefin Aung San Suu Kyi.

Foto: AFP / Ye Aung Thu

Naypyidaw/Wien – Noch einmal standen die Zeichen auf Zeitenwende: Fast drei Monate nach den Wahlen in Burma (Myanmar) trat am Montag das erste wirklich frei gewählte Parlament in der Geschichte des südostasiatischen Landes zusammen. Das Votum hatte für erdrutschartige Verschiebungen gesorgt. 390 statt – wie bisher – 41 der 657 Sitze gingen an die bisher oppositionelle Nationalliga für Demokratie NLD, deren Abgeordnete sich Montag meist zum ersten Mal in ihrer neuen Funktion im Parlamentskomplex der Reißbrett-Hauptstadt Naypyidaw einfanden.

Nicht zu den Neulingen zählt die wohl prominenteste einfache Abgeordnete im Parlament: Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Die 70-jährige NLD-Chefin, die wegen ihres jahrzehntelangen Hausarrests vielen als Demokratie-Ikone gilt, war bereits bei Nachwahlen 2012 ins Unterhaus eingezogen. Und auch, wenn die Verfassung sie wegen der ausländischen Staatsbürgerschaft ihrer Söhne daran hindert, selbst nächste Präsidentin zu werden: Dass die wahre Macht in der demokratischen Regierung bei ihr liegen wird, darüber sind sich sowohl ihre Anhänger als auch fast alle Beobachter einig.

Und dabei wird sie kein leichtes Spiel haben: Denn während die Erwartungen in der Bevölkerung fast im Unermesslichen liegen, ist die Liste der Probleme noch immer lang: etwa die noch immer schwelenden Kriege gegen ethnische Minderheitenarmeen und Warlords, der schwache Staat, Korruption, buddhistisch-nationalistische Bewegungen und die systematische Ausgrenzung der muslimischen Rohingya.

Zunächst muss sich die NLD-Regierung zudem mit der Armee ("Tatmadaw") arrangieren. Auch nach dem Umbruch vom November kontrollieren die Generäle noch immer jene 25 Prozent des Parlaments, die nicht von der Bevölkerung gewählt werden – das ist in Verfassungsfragen eine Sperrminorität. Die außerordentlich wichtigen Ministerien für Verteidigung, Inneres und Grenzschutz stehen auch weiterhin unter der Kontrolle der Generäle.

Arrangement mit der Armee

Suu Kyis NLD hat erkannt, dass sie sich mit dem Militär arrangieren muss. Gleich nach der Wahl hat die Siegerin in Reden angekündigt, die Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen – ein Signal, dass Strafverfolgung für die Junta-Verbrechen vorerst nicht auf der Agenda der Regierung stehen wird. Stattdessen heißt es, Suu Kyi sei in Verhandlungen mit der Armee getreten, um womöglich doch noch selbst in den kommenden Wochen vom Parlament zur neuen Präsidentin gewählt werden zu können. Was sie dem Militär im Tausch gegen das Zugeständnis einer Verfassungsänderung anbieten könnte, war dabei noch nicht ganz klar.

Andernfalls hat Suu Kyi bereits angekündigt, einen Posten anzustreben, der über dem (verfassungsmäßig höchsten Staatsamt) des Präsidenten stehen soll. Kandidaten für das Amt sollen demnach Vertrauenspersonen der Parteichefin sein. Derartige Ankündigungen haben in der zuletzt gewachsenen Zivilgesellschaft zu Sorgen geführt. Es sei wichtig, dass aus der überzeugenden Mehrheit der NLD nun nicht ein neuer Autoritarismus erwachse, zitierte zum Parlamentsauftakt am Montag etwa die englischsprachige burmesische Zeitung Irrawaddy den Leiter eines burmesischen Thinktanks, Khin Zaw Win.

Wohl auch deshalb versuchte es die NLD mit symbolischen Schritten. Das Abgeordnetenhaus wählte Angehörige von Minderheiten und der Opposition in Parlamentsposten. Parlamentspräsident wurde Win Myint – er hatte als möglicher Präsidentschaftskandidat gegolten. (Manuel Escher, 1.2.2016)