Die kanadischen Little Bay Islands haben alles, was einen Reisenden entzückt, aber nichts, was dem Leben dort eine Zukunft gibt. Die Bewohner dieser fünf idyllischen Inselchen an der Ostküste Neufundlands wissen, das ihre Stunde geschlagen hat. Nur noch 95 Menschen leben hier, das Durchschnittsalter beträgt 67 Jahre. Die Schule hat nur zwei Schüler, es gibt keinen Arzt, keine Arbeit.

Die Regierung der kanadischen Provinz Neufundland und Labrador möchte die Inselbewohner umsiedeln. Als Anreiz bietet sie den Menschen auf Little Bay Islands eine Kompensation von umgerechnet rund 170.000 Euro pro Kopf. Das ist immer noch günstiger, als den Fährbetrieb und die Strom- und Wasserversorgung für die kommenden 20 Jahre aufrechtzuerhalten. In einer Abstimmung waren 89,47 Prozent dafür, es gab nur zehn Nein-Stimmen. Die Behörden schreiben jedoch vor, dass es eine Mehrheit von 90 Prozent braucht. Eine einzige Stimme gab also den Ausschlag.

Seither hängt der Frieden wirklich schief auf dem Mini-Archipel. Perry Locke, früherer Bürgermeister, sagt den Medien nicht, wie er abgestimmt hat. Aber er machte nie einen Hehl daraus, dass er das Umsiedlungsprogramm für Humbug hält. "Sterbehilfe der Regierung" nannte er es im kanadischen Fernsehen. Locke hat den einzigen Arbeitsplatz auf der Insel: Er kümmert sich um den Stromgenerator. Er kritisiert, dass auch Leute abstimmen durften, die nur im Sommer auf den Inseln leben.

"Perry wurde von vielen angegriffen", klagte seine Mutter Zelda Locke der kanadischen Zeitung National Post. "Er hat eine gute Stelle hier. Was würde er tun, wenn er wegziehen müsste?"

Viele entlegene Siedlungen in Neufundland sind in den vergangenen Jahrzehnten fast ausgestorben. Die Umsiedlungspolitik der Provinzregierung begann 1975, und seither wurden mehr als 300 menschenarme Gemeinden im Austausch mit Geld aufgegeben.

Zum ersten Mal stimmten die Bewohner von Little Bay Islands vor vier Jahren über die Umsiedlung ab. Damals waren nur 60 Prozent der Bevölkerung dafür. Die Regierung erhöhte 2015 die Kompensation. Das brachte viele zum Umdenken – aber nicht genügend.

Seit der Abstimmung hat es einen Regierungswechsel in der Provinz gegeben. Aber entschieden ist weiterhin nichts. Sharlene Heinz zog vor zehn Jahren von der Westküste Kanadas nach Little Bay Islands. Hier betreibt sie im Sommer eine Pension mit Frühstück. Sie ist Zeugin, wie die ungelöste Situation die Menschen gegeneinander aufgebracht hat: "Es gibt Streit in Familien, Schwestern, die nicht mehr miteinander sprechen", sagt sie.

Die Fronten sind verhärtet, eine Lösung ist nicht in Sicht. Doris Tucker, auf Little Bay Island geboren und aufgewachsen, will nicht weg. "Ich werde weiter kämpfen", sagt die Pensionistin. "Ich bin resolut."

(Bernadette Calonego aus Vancouver, 2.2.2016)