Fabelhaft frivol sind die Kostüme von Janina Brinkmann. Ein paar Sektgläser, ein paar Flaschen Schampus und Goldkonfetti besorgen den Rest. Und ein wunderbares Ensemble aus Christoph Radakovits, Mavie Hörbiger, Daniel Jesch, Michael Masula, Stefanie Dvorak, Alexandra Henkel, Philipp Hauß, Elisabeth Augustin und Marcus Kiepe.

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Wien – Die Technobeats wummern. Als Milos Lolić in den 1990ern in Belgrad heranwuchs, schwelte in den Straßen der Krieg. Die Clubs der Stadt wurden seiner Generation zur Zuflucht: aufgelöst in den Herzschlägen der Bässe konnten er und die anderen Jungen sich hier selbst vergessen, die Welt abstreifen. Mit dieser biografischen Referenz eröffnet der 36-Jährige seine Inszenierung von Harold Pinters Party Time. Jene aber, die im Burgtheater-Kasino zur dröhnenden Musik zucken, sind keine Unschuldigen.

Pinter hat den Einakter über eine zerbrochene Gesellschaft 1991 als Anklage einer entfremdeten und amoralischen Upperclass geschrieben. Lolićs Mächtige ein Vierteljahrhundert später sind keine Aristokraten. Sie sehen aus wie Wirtschaftsbosse oder Playboys, wie verzogene Millionärstöchterchen, frivole It-Girls, abenteuerlustige Internetmanager. Wie bloß selbstbefasste Mitglieder eines exklusiven Schwimm- oder Tennisclubs mit "warmen Frottiertüchern" und "vergoldetem Service". Wie ahnungslose, trübe Gäste auf dieser Welt.

Unter ihnen sind die neuen Despoten – und Sabine Kohlstedt hat ihnen als Rückzugsort ein mobiles Gerüst auf die Bühne gestellt. Was sie zu verdrängen suchen, wenn sie es erklimmen, um ihre privilegierte Stellung zu beziehen, ist eine Revolution gegen sie. Man muss nicht entscheiden, wo das Geschehen spielt. Es könnte überall in der westlichen Welt sein gleich wie in den Luxuspenthäusern über Nairobi oder Seoul. Die Probleme sind global. Der Text offen genug. Das Programmheft spannt den Bogen von der Arbeitslosigkeit über die Finanzwirtschaft bis zum Gesundheitssystem.

Wenn nötig auch Exzess

Party Time ist Lolićs Debüt am Haus und es ist voll aufgegangen. Er hat u. a. bereits am Gorki-Theater in Berlin inszeniert, beim Young Directors Project der Salzburger Festspiele und zweimal am Wiener Volkstheater, wo er für Wolfgang Bauers Magic Afternoon 2012 mit dem Nestroy als bester Nachwuchsregisseur ausgezeichnet wurde. Stets hat er bewiesen, wie er mit relativ wenig Aufwand ganz viel zu machen vermag. Aus dem Gewöhnlichen das Unerwartete. Wo nötig, gibt es Langeweile; wo nötig, den Exzess. Hauptsache es wird sichtbar, was sichtbar werden muss.

Mutig geht Lolić auch diesmal ans Werk. Gleich dreifach lässt er die 26 Seiten Text aufsagen. Beinah stockend konversieren die alten Bekannten und Paare im ersten Durchgang über vergangene Affären und zukünftige Sommerurlaube, das bessere Leben, die Moral, Humanverluste. Man schmeichelt, wie es sich gehört. Und ist ebenso kühl, schließlich kennt man einander genug um zu wissen, wieso. Das Unbehagen ob der Situation auf den Straßen ist selbst in den Redepausen greifbar. Hervorragend besetzt führt das Ensemble das Setting hart an die Groteske, macht es beklemmend, verzweifelt, aber nie unglaubwürdig.

Worthülsen und Moral

Die äußeren Umstände bleiben bis zum Ende nicht näher bestimmt. Hubschrauberlärm, ein Hund bellt, etwas wie Detonationen. Man erzählt von Sperren auf den menschenleeren Straßen, entschuldigt sich für die Unannehmlichkeiten. Mit starker Faust will man einen "gusseisernen Frieden" herbeiführen. Das "Gewurschtel" muss aufhören. Aber das gehört nicht hierher auf diese Party: "Überlass das uns." – "Wem?" – "Uns eben", lautet die postdemokratische Antwort.

Mit ihrer Wiederholung verknappen sich die Dialoge im zweiten Durchgang zu immer schwerer wiegenden Andeutungen menschenverachtender Banalität. Dünn ist die Haut der Zivilisiertheit. Stil und Schönheit heißen die Werte, zu deren Feier der Schampus nunmehr gesoffen und verschüttet wird. Die gepflegte Fadesse steigert sich zu einer letzten hysterischen Ausgelassenheit. Es geht drunter und drüber am Geländer. Man beginnt, im Taumel die Kleider los zu werden, schließlich sieht man immer noch recht gut aus. In Runde drei hantelt sich das Grüppchen von Oberen dann zum Bumsen ins neonröhrenbeleuchteten Untergeschoss hinab. Ein Gewürm aus nacktem Fleisch und Glitzer.

Lolić verbindet in seiner Inszenierung Poesie und starke Effekte mit interpretatorischer Schärfe. Nichts verstellt die Figuren, ihre Angst, ihren Wahn. Eine wunderbare Party, die beste, versichern die Gäste sich selbst und einander bis in den Untergang, als sie nach nur eineinviertel Stunden verwüstet von der Bühne robben. Einer hat es nämlich geschafft, bei ihnen einzudringen, und die Fete gesprengt. Als hätten sie das nicht gewiss noch selbst zustande gebracht. Famos war sie aber in der Tat. (Michael Wurmitzer, 1.2.2016)