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Premierminister Cameron und Ratspräsident Tusk haben sich auf Reformen geeinigt.

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Ein Foto des Entwurfes, der Reformvorschläge von EU-Ratspräsident Donald Tusk enthält.

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Geht es nach dem britischen Premier David Cameron, so fährt dieser Lieferwagen einer britischen Übersiedlungsfirma auch in Zukunft unter europäischer Flagge.

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So viel Transparenz hat ein EU-Ratspräsident noch selten an den Tag gelegt: Nach den Gesprächen mit dem britischen Premierminister David Cameron hatte Donald Tusk am Montag angekündigt, "binnen 24 Stunden" einen Vorschlag für eine neue EU-Vereinbarung mit Großbritannien auf den Tisch zu legen. Kaum 20 Stunden später überraschte er am Dienstag dann Freunde und Feinde der geforderten "Extrawürste" für die Briten (wie EU-Parlamentspräsident Martin Schulz kritisch einwarf) mit einem in vielen Details bereits fertig ausformulierten Text. Dieser lässt sehr deutlich erkennen, worin die Zugeständnisse an London in puncto Rückführung von EU-Regeln in nationale Kompetenzen bestehen werden; und im Umkehrschluss, was Cameron nicht erwarten darf.

Diese Zugeständnisse enthielten keinerlei Vetorechte in Bezug auf die Politik in der Währungsunion, hielt der Ratspräsident fest, der als Form seiner Publikation einen Brief an alle 28 Regierungschefs wählte. Daran angehängt: Absätzeweise Paragrafen, wie sie aussehen könnten, und ein konkreter Entwurf für eine Schlusserklärung beim EU-Gipfel in zwei Wochen.

Tusk will Fakten schaffen

Dieses offensive Vorgehen ist ungewöhnlich, weil solche Dokumente im Normalfall erst wenige Tage oder Stunden vor den offiziellen Treffen publik gemacht werden. Tusk will Tempo machen und Fakten schaffen.

Tusk folgt mit seinem Vorschlag der Strukturierung, die Cameron vorlegte. So wollte der Premier die Versicherung, dass sein Land explizit nicht an der Währungsunion teilnehmen müsse. Ebenso soll es eine neue Bestimmung geben, wonach kein EU-Land gezwungen werden kann, an der Vertiefung der Union teilnehmen zu müssen. Zumindest in der Darstellung von Tusk sehen die EU-Staaten darin kein Problem. Um das festzuschreiben, müssten aber die EU-Verträge geändert werden.

Thema Sozialleistungen

Ganz anders verhält es sich beim Wunsch Camerons, Ausnahmeregelungen bei der Personenfreizügigkeit, konkret bei der Auszahlung von Sozialleistungen an EU-Ausländer, zu bekommen. In diesem Fall würden die EU-Grundprinzipien nicht angetastet, die "vier Freiheiten" wie die Personenfreizügigkeit blieben bestehen. London soll aber einen Mechanismus zugestanden bekommen, nach dem es bei Sozialleistungen an EU-Ausländer die "Notbremse" ziehen könnte, sollte deren Auszahlung eine Gefahr für das Sozialsystem bedeuten.

Das alles würde laut Tusk im Rahmen des bestehenden EU-Vertrages laufen, durch einfache Änderung von EU-Richtlinien. Die Briten müssten also auch anerkennen, dass letztlich der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheidet. Unproblematisch erscheinen Zusagen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Union gestärkt werden müsse.

"Das ist ein Nichts"

Die notorisch EU-feindliche Londoner Boulevardpresse wusste freilich schon vorab, was von Tusks Vorschlägen zu halten sei. "Ist das alles, Herr Cameron?", titelte Daily Mail. Hart auch die Reaktion britischer EU-Skeptiker: "Das ist in der Substanz keine Änderung, die Grundprinzipien der EU bleiben, wie sie sind, das ist ein Nichts", so der EU-Abgeordnete Nigel Farage zum Standard.

Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn – selbst Europaskeptiker, von seinen Außenpolitikern aber auf EU-Linie gezwungen – vermied eine inhaltliche Stellungnahme. Stattdessen tadelte er Cameron, weil er Tusks Ideen in einer Rede vor Siemens-Arbeitern begrüßte, statt dem Unterhaus Rede und Antwort zu stehen.

Freude und derbe Kritik

Cameron selbst freute sich über "grundlegende Änderungen". "Mit dem sofortigen Zugang zu Sozialleistungen ist Schluss!" Neue EU-Zuwanderer sollen in Zukunft bis zu vier Jahre arbeiten müssen, ehe sie den Kombilohn in Anspruch nehmen können, außerdem soll Kindergeld bloß in Höhe des Herkunftsstaates ausbezahlt werden, bestätigte er stolz.

Experten äußerten sich skeptisch, ob die vereinbarte "Notbremse" die jährliche Einwanderung erheblich reduzieren kann. "Das kann man sich nur schwer vorstellen", sagte Migrations expertin Madeleine Sumption von der Uni Oxford. Die Personenfreizügigkeit bleibe "weitgehend unangetastet", glaubt auch Jonathan Portes vom Thinktank Niesr.

In Camerons konservativer Partei reichten die Reaktionen von loyaler Befürwortung bis zu kalter Ablehnung. Londons Bürgermeister Boris Johnson gab sich noch nicht überzeugt: "Es muss noch viel, viel mehr getan werden." Drastisch-derb kommentierte Steve Baker von der Gruppe Conservatives for Britain die Sache: Tusks Dokument versuche "aus Scheiße Gold zu machen" (to polish a poo). (Thomas Mayer aus Straßburg, Sebastian Borger aus London, 2.2.2016)