"Dirigent Sergiu Celibidache hat gesagt, das Dirigieren kann er jeder Klofrau beibringen." Schwieriger sei, so der Musiker Stefan Vladar, die Einschätzung, wie viel man fordern, wie viel verändern kann.


Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Ihre Karriere hat mit einem Paukenschlag begonnen: Sie haben 1985 als unbekannter Teenager den renommierten Beethoven-Wettbewerb gewonnen.

Vladar: Ich war 18 und ein ganz normaler Student im ersten Studienjahr. Es war schwierig damals: die plötzliche Aufmerksamkeit, die Erwartungshaltung. Aber es gab zwei verschiedene Welten: In Österreich wurde ich geliebt, ich habe im Großen Musikvereinssaal einen ausverkauften Soloabend gespielt. Aber im Ausland war ich ein Nobody, der irgendeinen Wettbewerb gewonnen hatte. Dort musste ich mich langsam vorarbeiten.

STANDARD: Wie sind Sie dann zum Dirigieren gekommen?

Vladar: Ich habe eigentlich schon als Kind dirigiert. Mein Vater hat mit uns abends viel Musik gehört, Orchestermusik, Bruckner, Mahler. Wenn mein ältester Bruder Michael auf Telefonbüchern seine Paukenstimmen dazugeklopft hat, dann habe ich einen Bleistift genommen und dirigiert. Irgendwann bin ich dann Pianist geworden. Aber ich habe bald festgestellt, dass mir das Klavier als einzige Ausdrucksform nicht genügt, weil ich mit diesen Orchesterklängen aufgewachsen bin. Meine Brüder sind ja auch beide Orchestermusiker geworden.

STANDARD: Ist das Schwierige am Dirigieren weniger die Schlagtechnik und die Interpretation als der Zeitdruck, in drei Proben à drei Stunden ein Konzertprogramm tipptopp auf die Beine zu stellen?

Vladar: Das Leichteste am Dirigieren ist das Schlagen. Sergiu Celibidache hat gesagt, das kann er jeder Klofrau beibringen. Die Probenökonomie ist viel kniffliger: Wie viel kann ich fordern, wie viel verändern, und wo übe ich mich in Verzicht? Dann haben verschiedene Orchester unterschiedliche Gewohnheiten: Es gibt Chefdirigenten, die fast nur durchspielen lassen, solche, die sofort abbrechen und ewig erklären. Darauf muss man sich einstellen.

STANDARD: Sie sind seit 2008 selbst Chefdirigent des Wiener Kammerorchesters. Ist es schwierig, das Orchester an einem Ort wie Wien zu positionieren?

Vladar: Ja, das ist es. Hier gibt es vier große Symphonieorchester, die einen Großteil des Publikums abschöpfen und alle mediale Aufmerksamkeit blockieren. Das ist schade: Wir haben tolle Projekte gemacht, aber wir werden kaum wahrgenommen, was uns auch bei den Subventionen nicht hilft. Dabei darf man nicht vergessen, dass das Wiener Kammerorchester auch eine der größten Orchestermusikerakademien des Landes ist. Neben freiberuflichen Musikern und Lehrenden musizieren hier die besten Musikstudenten des Landes und lernen. In den österreichischen Symphonieorchestern spielen 160 Musikerinnen und Musiker, die beim Wiener Kammerorchester angefangen haben. Diese schulende Tätigkeit dankt uns niemand.

STANDARD: Sie haben seit dem Jahre 1999 eine Professur an der Wiener Musikuniversität. Ist das Lehren für Sie mehr Beruf oder Berufung?

Vladar: Musik ist mein Leben, und ich begreife den Musikerberuf als etwas Umfassendes. Das Dirigieren und das Unterrichten sind ja verwandt: Bei beiden Tätigkeiten geht es darum, eigenes Wissen weiterzugeben. Und das Spielen und das Dirigieren sind verwandt, weil es bei beidem darum geht, eigene musikalische Vorstellungen in Klang umzusetzen. Als Chefdirigent wiederum hat man ähnliche programmplanerische und organisatorische Verpflichtungen wie als Festivalleiter. So greift ein Rädchen ins andere.

STANDARD: Wenn man an die Namen Bruno Seidlhofer, Hans Graf, Alexander Jenner, Heinz Medjimorec, Hans Petermandl und auch an Sie denkt: Gibt es in der Klavierpädagogik eigentlich so etwas wie eine Wiener Schule, eine spezifische Art der Interpretation?

Vladar: Das Wien-Typische betrifft mehr das Repertoire als die Interpretation. Wir legen hier ein ganz starkes Augenmerk auf Bach, Haydn, Mozart, Beethoven und auf Schubert – das muss bei uns jeder spielen. Und wir sind nicht die große Virtuosenerziehungsanstalt, denn wir versuchen vorrangig, Musiker auszubilden. Wenn die dann gleichzeitig auch noch Virtuosen sind, ist das natürlich wunderbar.

STANDARD: Sie wurden im vergangenen Oktober 50. Das Wiener Konzerthaus widmet Ihnen diese Saison eine achtteilige Porträtreihe. Ist doch ein schönes Geburtstagsgeschenk?

Vladar: Ja. Es war die Absicht, in dieser Konzerthaus-Reihe die Bandbreite meines künstlerischen Wirkens zu zeigen: den Solopianisten, den Liedbegleiter, den Kammermusiker und den Dirigenten. Eine außergewöhnliche Idee war auch, im März zwei Orchester in einem Konzert zusammenzuspannen: das Wiener Kammerorchester und die Camerata Salzburg. Das hat so noch nie stattgefunden.