Die Modewelt ist fasziniert vom lockeren Pinselstrich. François Berthoud hat 2006 einen Look von Viktor & Rolf interpretiert. Das Bild wurde dem Buch "Bilder der Mode" (Verlag Prestel) entnommen.

Foto: Courtesy Galerie Bartsch & Chariau, entnommen aus dem Buch "Bilder der Mode" (Prestel Verlag)

Der Illustrator Antonio war in den Siebzigern ein Star. Das Bild wurde dem Buch "Bilder der Mode" (Verlag Prestel) entnommen.

Illustration: Courtesy Galerie Bartsch & Chariau, entnommen aus dem Buch "Bilder der Mode" (Prestel Verlag)

Eine llustration von Lotte Wernekink aus dem Jahr 1928.

Illustration: Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Eine Skizze von Emil Beindl.

Illustration: Emil Beindl

Eine Einladungskarte, von Uli Knoerzer für den Designer Bobby Kolade entworfen.

Illustration: Uli Knörzer

Auf den ersten Blick sieht Jenny Walton, dünn, haselnussbraune lange Haare, wie einer dieser biegsamen Streetstyle-Stars aus. Doch die Amerikanerin, die gerne wadenlange Retrofaltenröcke und Mäntel trägt, kann mehr als posieren. Statt sich hinter dem Zeichenblock zu verstecken, vermarktet sie sich und ihre leichtfüßig dahingeworfenen Modeillustrationen über Social Media. Mehr als 81.000 Follower hat die Amerikanerin bereits.

Das Geschäft mit Zeichenstift, Pinsel und Tablet beherrscht nicht nur die Illustratorin Jenny Walton. Jeanette Getrost, Donald Robertson, die Bloggerin Garance Doré, eine ganze Riege an Illustratoren postet ausgerechnet auf Instagram Skizzenbücher, Zeichenstifte und Modeillustrationen für die neuesten Kooperationspartner: Es scheint, als entfalteten Zeichenutensilien auf den verspiegelten Oberflächen der Smartphones oder iPads einen besonderen Reiz.

Illustrationen am Tablet

Heute entstehen Zeichnungen nicht mehr unbedingt auf dem Papier. Vor nicht allzu langer Zeit hat Apple ein neues Tablet herausgebracht, das das Illustrieren mit dem Stift erleichtert, auch Bloggerin Garance Doré arbeitet schon lange nicht mehr mit dem Zeichenstift. Was zählt, ist das Ergebnis.

Die Modewelt ist fasziniert vom lockeren Pinselstrich. Illustrationen bedienen das Bedürfnis nach dem vermeintlich Individuellen und den besseren Zeiten: Das "New York Magazine" beauftragte Bil Donovan, die New Yorker Modeschauen backstage zu illustrieren, Beyoncé trug im letzten Jahr eine Tasche, die der Illustrator Donald Robertson mit einem knalligen Kussmund bepinselt hatte, Garance Doré kooperierte mit dem Label Equipment, auch in österreichischen Magazinen werden Beauty- und Modestrecken vermehrt illustriert.

Freiheit des Strichs

"Das Individuelle und Freie der Illustrationen wirkt in Zeiten, in denen man das Gefühl hat, dass immer alles gleich aussieht, besonders attraktiv", erklärt die Mode- und Kostümhistorikerin Adelheid Rasche das Comeback des händischen Strichs.

Die Modefotografie ist erwartbar geworden, das ist eine Chance für die Illustration. Sie wird in den sozialen Netzwerken gefeiert und appetitlich inszeniert. Über Social Media werden pinselschwingende Illustratoren zu Stars. Die Newcomer knüpfen damit an das Selbstbewusstsein gefeierter Illustratoren wie René Gruau oder Antonio, die wohl bekanntesten Illustratoren des 20. Jahrhunderts, an.

Im Normalfall aber "hatte der Durchschnittsmodegrafiker immer eine dienende Rolle inne", so Rasche. Willemina Hoenderken, die an der Uni Bielefeld Studenten im Fach Modeillustration unterrichtet, versteht es für den Nachwuchs als Notwendigkeit, "über eine eigene Homepage, über Pinterest und Instagram auf sich aufmerksam machen". Bei dem österreichischen Designer Emil Beindl, Teil des Modeduos DMMJK, hat das bislang gut geklappt. Mehr als 8600 Follower haben seinen Instagram-Account "emil.maria", den er als Portfolio für seine Zeichnungen nutzt, abonniert.

Modeillustration stark in Zeiten medialer Umbrüche

Auffällig ist: In Zeiten medialer Umbrüche ist und war die Modeillustration besonders stark. So wie im 16. Jahrhundert, als Künstler wie Albrecht Dürer Trachten akribisch genau wiedergaben. "In den Trachtenbüchern wurde damals dezidiert Mode dargestellt", erklärt Rasche. Diese Darstellungen waren zum ersten Mal mehr als nur Porträts, auf denen nebenbei auch Kleidung dargestellt wurde.

Vor hundert Jahren, als die Modemagazine die breite Masse eroberten, erlebte die Modezeichnung ihre erste Blüte. Damals erneuerte der Designer Paul Poiret nicht nur die Mode, er half auch der Modeillustration auf die Sprünge. Poiret gilt als der erste Modedesigner, der einen Illustrator engagierte. Seine Verpflichtung hatte Folgen. 1908 beauftragte der Designer Paul Iribe mit einer Werbebroschüre für seine Kleider.

Heraus kam "Les Robes de Paul Poiret", ein auf 250 Stück limitiertes Album, das zehn handgezeichnete Entwürfe als Farbdrucke enthielt. Die Modelle, die Iribe malte, trugen bodenlange Kleider und hatten herzförmige Münder. Wenige Jahre später kam noch ein Heft heraus. Für "Les Choses de Paul Poiret" fertigte Georges Lepape Art-déco-Zeichnungen an. Lepape arbeitete danach für die ganz dicken Fische im Magazinbereich: für die "Gazette du Bon Ton", für "Harper's Bazaar", "Vanity Fair" und die "Vogue".

Frauendomäne Modeillustration

Die Zeiten waren damals gut für Illustratoren. Solche Magazine schafften Jobs. Aber nicht nur Männer wie Lepape oder Iribe griffen zum Zeichenstift. Adelheid Rasche, die ein Fan von den Illustrationen der Berlinerin Lotte Wernekink ist: "In den 1920ern waren rund achtzig Prozent der Illustratoren Frauen." Das hatte seine Gründe. "Weil die Hochschulen den Frauen oft keinen Zutritt zu Studiengängen wie der Malerei oder der Bildhauerei ließen, besuchten sie Kunstgewerbeschulen, die Modedesign und Grafik unterrichteten."

Das tat der Modezeichnung gut. In den Zwanzigern schlugen sich in der Illustration neue Frauenbilder nieder. Eine Frau, die auf einem Sofa herumfläzt? Mitte des 19. Jahrhunderts war so etwas noch undenkbar. Bestimmte Moden verlangten bestimmte Haltungen. "Wer ins Korsett geschnürt war, konnte sich nicht mit einem runden Rücken locker nach hinten lehnen", so Rasche.

Wer sich hingegen die spaghettilang gezogenen Modelkörper mit den geschürzten Lippen so manch aktueller Modeillustrationen ansieht, mag an deren Zeitgenossenschaft zweifeln. Denn spätestens seit den Nullerjahren ist das historische Dechiffrieren von Illustrationen ein Ding der Unmöglichkeit. Es herrscht wie in der Mode ein Nebeneinander der unterschiedlichsten Stile und Techniken.

Im 20. Jahrhundert waren die Bubiköpfe, die Miniröcke einfach einzuorden. So auch die Illustrationen. "Wenn ein Antonio, um dessen Zeichnungen sich die Models in seiner Hochzeit rissen, in den Sechzigern Illustrationen machte, war er immer ein Kind seiner Zeit", meint Rasche. Dozentin Willemina Hoenderken erinnert sich noch an die ausladenden Schultern, die in den Achtzigern dem Zeitgeist entsprechend wuchtig dargestellt wurden. Heute hingegen? "Sieht vieles aus wie in den Fünfzigern und so manches auch wie aus einem ganz anderen Jahrzehnt." Die Rückbesinnung, so Rasche, sei in der Illustration wie in der Mode ein Phänomen unserer Zeit.

Handgemacht

Die Illustration werde die Modefotografie nie wieder ersetzen, auch wenn "das händisch Gezeichnete wie Handgemachtes und Selbstgekochtes heute hoch im Kurs steht", meint Caroline Seidler von der gleichnamigen Wiener Agentur, die auf Illustration spezialisiert ist.

Das Bedürfnis nach dem Vergangenen, dem Guten kann die Modezeichnung sowieso nicht erfüllen. Wahrhafter oder gar echter als Fotos, die mit Photoshop perfektioniert und geglättet werden, sind Illustrationen mitnichten. Ganz im Gegenteil. Modezeichnungen haben den menschlichen Körper von jeher idealisiert.

Ein Gros der Illustratoren streckt die Silhouetten und spitzt das Model-Ideal auf den Laufstegen noch zu: "Kopf und Körper stehen bei der Modezeichnung meist im Verhältnis eins zu neun. In den menschlichen Körper passt der Kopf hingegen nur achtmal." Zwar seien gerade natürliche Proportionen angesagt, "die Beine zu verlängern ist aber nach wie vor üblich", erklärt Willemina Hoenderken.

Auch Donald Robertson, einer der kommerziell erfolgreichsten Illustratoren, der für das Luxuskaufhaus Bergdorf Goodman arbeitet, verwandelte seine ewige Schwäche, menschliche Körper in die Länge zu ziehen, in eine Stärke. Was die Kunsthochschule nicht goutierte, kam in der Modewelt an. "Das ist, als arbeiteten wir in den Dreißigern, ich bekomme sogar Cover-Aufträge!", jubelte er zuletzt.

Robertson wurde so in den letzten Jahren zum Instagram-Star mit 170.000 Followern. Davon ist der deutsche Illustrator Uli Knoerzer, der für den Berliner Newcomer-Designer Bobby Kolade zeichnet, noch weit entfernt. Doch seine akribisch naturalistischen Illustrationen hätten es verdient.

Fragt sich, ob die Zeit noch reicht, auf dieser Welle mitzuschwimmen. Längst gibt es Apps wie My Sketch und Waterlogue. Sie verwandeln Fotos mit einem Wisch in Aquarelle oder Skizzen. So darf dann jeder für einen Moment einmal das Gefühl haben, ein Illustrator zu sein. (Anne Feldkamp, RONDO, 5.2.2016)