Symbiose oder Viehhaltung? Die Mikrobiologin Jillian Petersen untersucht die Lebensgemeinschaften von Mondmuscheln und Bakterien, die am Boden von Seegraswiesen leben.

Foto: Ulisse Cardini

Die bis zu zwei Zentimeter großen Mondmuscheln erreichen eine erstaunliche Populationsdichte: bis zu 4000 Tiere pro Quadratmeter.

Foto: Ulisse Cardini

Wien – Wer sucht, der findet – wenn er an der richtigen Stelle gräbt. Die eher unscheinbaren Mondmuscheln der Art Loripes lucinalis leben im Untergrund von sogenannten Seegraswiesen und können dort erstaunliche Populationsdichten erreichen. An die 4000 Exemplare pro Quadratmeter Meeresboden haben Forscher bereits gezählt. Das Verbreitungsgebiet der bis zu zwei Zentimeter langen Schalentiere reicht von den Britischen Inseln südlich bis nach Mauretanien in Westafrika und umfasst zudem das gesamte Mittelmeer. Eine Seltenheit sind sie somit nicht, aber dennoch von großem Interesse für die Wissenschaft. Mondmuscheln verfügen nämlich über eine mysteriöse Fähigkeit: Sie haben sich Bakterien dienstbar gemacht, zum Zwecke der Nahrungsversorgung.

Loripes lucinalis ist allerdings nur eine von rund 500 verschiedenen Mondmuschel-Spezies (zoologisch: Familie Lucinidae). Deren älteste fossile Vertreter stammen aus dem Silur und sind etwa 400 Millionen Jahre alt. So lange scheinen Lucinidae auch schon in Symbiose mit Bakterien zu leben, sagt die Biologin Jillian Petersen von der Universität Wien. Die versteinerten Schalen zeigen verdächtige Vertiefungen. Höchstwahrscheinlich hatten sie besonders große Kiemen, in denen auch bei den heutigen Mondmuscheln noch die Helferlein, Symbionten genannt, untergebracht sind.

Petersen widmet sich der Erforschung solcher Lebensgemeinschaften. In ihrem Zusammenspiel haben sich Wirt und Mikroorganismen optimal aufeinander eingestellt, sagt sie. Die Kleinen versorgen ihren Hausherrn mit Nährstoffen, sie bekommen dafür Schutz sowie eine ständige Zufuhr von Sauerstoff und was sonst noch für die Produktion von Verzehrbarem benötigt wird. Diverse Meeresbewohner, Würmer, Muscheln, Korallen oder auch Schnecken, sind im Laufe der Evolution derartige Bündnisse eingegangen. Viele können ohneeinander gar nicht mehr existieren.

Die Bakterien von Loripes lucinalis verfügen über besondere Eigenschaften. Als chemoautotrophe Mikroorganismen wandeln sie anorganischen Kohlenstoff aus CO2 in organische Moleküle um. Pflanzen und Algen können das bekanntlich auch, mittels Photosynthese und Sonnenlicht als Energiequelle. Die Symbionten der Mondmuscheln greifen auf einen anderen Trick zurück: Sie setzen Sulfid aus Schwefelwasserstoff zu Sulfat um und nutzen die dabei freigesetzte chemische Energie. Licht wird nicht benötigt.

Penetranter Geruch

Schwefelwasserstoff zeichnet sich für Menschen durch seinen penetranten Faule-Eier-Geruch aus. Im Boden von Seegraswiesen fällt es, unter Sauerstoffausschluss, reichlich bei der mikrobiellen Zersetzung von abgestorbenen Seegrasblättern an. Ideale Bedingungen für die Mondmuscheln und ihre Untermieter. Das Seegras profitiert ebenfalls. Sulfid ist nämlich giftig, zu hohe Konzentrationen davon schaden den Wurzeln der Pflanzen. Fachleute sehen die Symbiose deshalb als eine dreifache Partnerschaft – zwischen Mondmuscheln, ihren Bakterien und dem Seegras (vgl. "Science", Bd. 336, S. 1432).

Die beiden ersten Beteiligten bereiten der Wissenschaft allerdings noch Kopfzerbrechen. Wie zum Beispiel gelangen die Mondmuscheln zu ihren Mitbewohnern? Bei manchen symbiotischen Arten gibt das Muttertier dem Nachwuchs seine Symbionten schon in der Eizelle mit, aber nicht in diesem Fall. "Der Wirt kommt ohne sie auf die Welt und wird erst nachträglich besiedelt", sagt Petersen. Doch die speziellen Mikroben, die sich bislang nur anhand von DNA-Analysen identifizieren lassen, kommen in der Umwelt fast nicht vor. "Die Muscheln nehmen wohl nicht viele Bakterien von dort auf." Eine andere Möglichkeit wären die Schleimbeutel, in welche die Elterntiere ihre befruchteten Eier hüllen, meint Petersen. Die Verpackung könnte vielleicht auch als zeitweilige Symbiontenherberge dienen.

Diese und weitere Fragen zur Lebensgemeinschaft der Mondmuscheln will Petersen zusammen mit ihrem Team und Kollegen in Italien in den kommenden Jahren klären. Der Wiener Wissenschaftsfonds WWTF unterstützt das Projekt finanziell im Rahmen des Programms "Vienna Research Groups for Young Investigators". Im Fokus steht eine Loripes-lucinalis-Population vor der Küste der Insel Elba. "Es wäre großartig, wenn wir die Tiere auch im Aquarium züchten könnten", sagt die Biologin. Die Haltung sei aber kompliziert, das Milieu einer Seegraswiese kaum zu simulieren. "Es ist vor allem schwer, die richtigen Sulfid-Konzentrationen einzustellen." Doch man arbeite daran.

Was Petersen besonders fasziniert, ist die biochemische Kommunikation zwischen Wirt und Symbionten. Die Helferlein leben in den Kiemen in spezialisierten Zellen, den sogenannten Bakteriozyten. Jedes von ihnen bewohnt dort eine eigene Vakuole.

In Zellen einschleichen

Es gibt aber auch parasitische Bakterien, die sich gerne in Zellen einschleichen, erklärt Petersen. Wie also unterscheidet die Muschel zwischen solchen Invasoren und den nützlichen Keimen? Abgesehen davon könnten die Symbionten eventuell selbst zum Problem werden, falls sie sich zu stark vermehren. Ihre Teilung scheint indes unterbunden zu sein. "Man sieht nie eine Mondmuschel, die von Bakterien überwuchert ist", betont Petersen. "Es ist eine sehr enge Kontrolle."

Möglicherweise ist das Zusammenleben gar kein so partnerschaftliches Miteinander. Mondmuscheln sind für ihre Ernährung nicht vollkommen von ihren Symbionten abhängig, einen Teil ihres Futters holen sie sich als Filtrierer aus dem Meerwasser. Unklar ist, wie der Transfer von Nährstoffen zwischen den Chemoautotrophen und ihrem Wirt funktioniert. Die Bakterien indes scheinen in ihren Vakuolen zu wachsen, wie französische Biologen beobachteten. Und wenn die Muscheln hungern, beginnen sie, ihre Untermieter zu verdauen (vgl. "Journal of Experimental Marine Biology and Ecology", Bd. 448, S. 327). Vielleicht ist die Beziehung gar keine Symbiose im eigentlichen Sinne, sondern eher eine Art Viehhaltung. (Kurt de Swaaf, 7.2.2016)