Der Weckruf von Iowa war laut, er war schrill, und er war unüberhörbar: "Hallo, ihr abgehobenen Kandidaten! Willkommen im echten Leben! Ihr müsst euch viel mehr anstrengen, wenn ihr unsere Stimmen wollt! Und wir sind wirklich, wirklich viele!"

Die amerikanischen Wählerinnen und Wähler von 2016: Das sind, so sieht man nun offiziell, in sehr großem Ausmaß Bürgerinnen und Bürger, die den Politikern – egal ob sie aus der demokratischen oder aus der republikanischen Ecke kommen – nicht mehr vertrauen; die nicht mehr an eine verheißungsvolle Zukunft glauben; die davon überzeugt sind, dass die US-Politik irgendwann in den vergangenen Jahren falsch abgebogen ist und sich heillos verrannt hat; die sich abwenden von Mächten und Eliten; oder die ganz einfach nur einen sicheren Job wollen, mit dem sie ihre Familie über die Runden bringen können.

Der Weckruf gilt – mehr, als es ihr lieb sein kann – vor allem Hillary Clinton. Noch vor wenigen Monaten hat die ehemalige First Lady und Außenministerin als bombensicherer Tipp für die Kandidatur der Demokraten gegolten. Als bei den Republikanern dann Donald Trump auf den Plan trat, wähnte man sich selbstgefällig schon im Weißen Haus. Danke, Leute, das wird ein Durchmarsch! Weit gefehlt. Clinton kam nur ein paar Zehntelpunkte vor Bernie Sanders zu liegen. Dass ihr Kontrahent stark sein würde, war klar; dass er nunmehr aber direkt auf Augenhöhe um Stimmen kämpfen kann, kommt psychologisch einer Niederlage gleich. Von einer "g'mahten Wies'n" konnte im flachen Midwest-Staat keine Rede sein.

Man mag einwerfen, dass Iowa nicht repräsentativ für die Gesamtheit der USA ist; demografisch ist der Staat ruraler, weißer, älter und religiöser als der Durchschnitt der Nation. Stimmt. Doch dieses Argument gilt heute nur für den Erzkonservativen Ted Cruz, der bei den Republikanern Trump besiegte.

Clinton dagegen muss eine gänzlich anders gelagerte Fehleranalyse anstellen. Sie weiß mit Sicherheit, dass sie, genauso wie Jeb Bush & Co, als Teil des oft verhassten Establishments gilt. Das Amerika der kleinen Leute, das Amerika der Jungen und das Amerika der Linken – all das kann der 74-jährige Sanders viel besser und glaubwürdiger bedienen als die Karrierepolitikerin Clinton. Das muss ihr zu denken geben – und das tut es.

Trump mag in Iowa zwar teilweise entzaubert worden sein, doch von allen Kandidaten hat sicher Clinton die schwierigste Aufgabe zu meistern. Sie muss – und zwar glaubwürdig – weit nach links rücken und sich auf die Jugend zubewegen, um Sanders auf sichere Distanz zu bringen. Doch dabei droht sie in die gleiche Falle zu tappen wie der Republikaner Mitt Romney – freilich unter entgegengesetzten Vorzeichen: Der spuckte im Wahljahr 2012 plötzlich so reaktionär-konservative Töne, dass ihn seine vergleichsweise moderaten Anhänger kaum wiedererkannten. Nach dem gewonnenen Parteitag schaffte er dann aber nicht mehr den rhetorischen Spagat, die Unentschiedenen abzuholen. Er verlor, wie bekannt, haushoch gegen Amtsinhaber Barack Obama.

Clinton steht vor einem ähnlichen Dilemma: Sie muss bei Sanders' unerwartet großer Anhängerschaft punkten und sich gleichzeitig jene sichern, die Richtung Republikaner abwandern könnten und weniger Berührungsängste mit der althergebrachten, elitären Machtpolitik haben. (Gianluca Wallisch, 3.2.2016)