Tel Aviv – Wenn die Kandidaten der Reality-Serie "Naked and Afraid" des Discovery Channel (auf Deutsch als "Naked Survival" ausgestrahlt) in der Wildnis auf eine Schildkröte stoßen, ist die Freude immer enorm: Eine Schildkröte liefert eine Menge Protein, ist weder schnell noch wehrhaft – und der Schutzmechanismus, den sie gegen natürliche Feinde entwickelt hat, hilft ihr gegen Menschen genau gar nichts.

Und was im fürs Fernsehen nachgestellten Steinzeitleben gilt, das galt auch für das echte: Urmenschen fingen, brieten und kochten Landschildkröten offenbar zumindest als Ergänzungsnahrung. Entsprechende Erkenntnisse präsentierten nun Archäologen im Fachmagazin "Quaternary Science Reviews".

Bedeutende Fundstätte

Das internationale Expertenteam stützte sich auf Knochenfunde in der Kassem-Höhle östlich von Tel Aviv. Diese erst vor 15 Jahren zufällig freigelegte Karsthöhle ist eine der weltweit wichtigsten Grabungsstätten für die Erkundung der menschlichen Vorgeschichte. In der Kassem-Höhle wurden 400.000 bis 200.000 Jahre alte Siedlungsspuren entdeckt – danach füllte sich der Hohlraum mit Sedimenten.

Welche Art oder Arten von Menschen hier siedelten, ist noch nicht eindeutig geklärt. Die ältesten Spuren liegen deutlich vor der Zeit, in der der Homo sapiens sich entwickelt hatte, und erst recht vor seinem Auszug aus Afrika. Es könnten mit ihm verwandte Nachfahren des Homo erectus wie Homo heidelbergensis oder der Neandertaler sein.

Die jüngsten Spuren könnten aber auch bereits von Angehörigen des archaischen Homo sapiens stammen – die Analyse der in der Höhle gefundenen menschlichen Zähne ist nicht eindeutig. Auf Basis dieser Zähne war aber immerhin bereits bekannt, dass die Kassem-Menschen eine recht ausgewogene Speisekarte mit Gemüse und Fleisch von Hirschen, Wildpferden und gelegentlich Auerochsen hatten. Nun ist das Menü auch um Schildkrötenfleisch bzw. Schildkrötensuppe zu ergänzen.

Willkommenes Zubrot

Die Forscher fanden Knochen und Panzer der Landschildkröten in dem gesamten Karstsystem verstreut. Daraus folgern sie, dass diese Tiere während 200.000 Jahren von den Steinzeitbewohnern verspeist wurden – der Schildkrötenverzehr war also nicht so massiv, um die leicht erbeutbaren Tiere auszurotten.

"Bisher wurde angenommen, dass die Frühmenschen im Altpaläolithikum vor allem erjagtes Großwild und Gemüse aßen", erklärte Ran Barkai vom Archäologie-Institut der Tel Aviver Uni. "Unsere Entdeckung erweitert unser Wissen über sie um eine sehr menschliche, kulinarische und damit kulturgeschichtliche Dimension."

"Nun können wir sagen, dass sie auch Landschildkröten aßen, obwohl diese nicht so kalorienreich waren wie beispielsweise die hier häufig auftretenden Damhirsche", sagt Barkai. Bearbeitungsspuren zeigen, dass die Schildkröten vor dem Verzehr entweder im Panzer gegrillt oder mit Flintstein-Werkzeugen aufgebrochen und ihr Fleisch dann gekocht wurde. Das sind die bisher ältesten Spuren für die Zubereitung von Schildkrötensuppe.

Hinweise auf Arbeitsteilung

Die neuen Entdeckungen sind auch ein weiterer Hinweis auf eine gewisse Arbeitsteilung in den frühmenschlichen Zivilisationen, ergänzte der Tel Aviver Archäologe Avi Gopher. Während die Jungen jagten, trugen die Älteren und Kinder mit Sammeln zur Nahrungssicherung bei. Und die langsamen Schildkröten waren leicht zu fangen. So bildete ihr noch dazu gut konservierbares Fleisch eine gute Ergänzung gerade in wildärmeren Jahreszeiten. (red, APA, 3. 2. 2016)