Feier am 64. Unabhängigkeitstag im Dezember in Tripolis. Fünf Jahre nach der Revolution ist die Einigkeit Libyens nicht wiedererreicht.

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STANDARD: Wie realistisch ist die Umsetzung des politischen Abkommens von Shkirat und die Bildung einer Einheitsregierung?

Ghoga: Wir sind in der letzten Phase zur Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit. Das wird in den nächsten Tagen geschehen; und zwar mit einem Minikabinett, wie das Repräsentantenhaus in Tobruk verlangt hat. Dann wird als nächster Schritt der Arbeitsbeginn der Regierung von Fayez al-Sarraj in Tripolis erfolgen. Das sieht schwierig aus, aber ich vertraue den Verantwortlichen.

STANDARD: Was sind die größten Hürden?

Ghoga: Der wichtigste Schritt ist der Umzug in die Hauptstadt Tripolis. Als Vorbereitung wurde bereits ein Sicherheitskomitee zusammengestellt, das schon die ersten Arrangements getroffen hat. Wenn sich die Regierung in Tripolis etablieren kann, dann wird das ein starker Beginn sein.

STANDARD: Von der internationalen Gemeinschaft werden Sanktionen gegen jene Personen angedroht, die die politische Verständigung torpedieren. Ist das hilfreich?

Ghoga: Ja, das würde helfen. Es ist sehr wichtig, dass die UN und andere Institutionen verhindern, dass diese Leute die Umsetzung des politischen Abkommens noch stoppen können.

STANDARD: Die bewaffneten Kräfte sowohl im Westen als auch im Osten Libyens sind in sich gespalten. Wie stark sind jene, die eine Verständigung unterstützen?

Ghoga: Im Westen hat Serraj bereits den Oberkommandierenden getroffen – und sie sind sich einig geworden über die Besetzung der wichtigsten Positionen der Sicherheitskräfte, wie es Artikel 8 des Abkommens von Shkirat vorsieht. Dieselben Schritte werden bald im Westen mit den Verantwortlichen der bewaffneten Kräfte von Misrata, Tripolis und Zintan folgen, und dann sollte es gelingen, die Sicherheit für die Regierung der Nationalen Einheit in Tripolis zu gewährleisten.

STANDARD: Was wird aus General Khalifa al-Haftar?

Ghoga: Er wird fortsetzen, was er angefangen hat. Serraj hat ihm bereits Hilfe beim Kampf gegen Terroristen und Extremisten in Bengasi zugesichert. Haftar ist kein Hindernis für eine politische Lösung.

STANDARD: Die Libyer warten immer noch auf eine neue Verfassung. Warum dauert das so lange?

Ghoga: Ich bezweifle, ob die verfassungsgebende Kommission in der Lage ist, ein Grundgesetz auszuarbeiten, obwohl das ein zentraler Baustein ist. Nach zwei Jahren ist die Kommission genauso gespalten wie der Rest des Landes. Wir werden einen neuen Mechanismus finden müssen.

STANDARD: In wenigen Tagen ist der 17. Februar, der fünfte Jahrestag des Ausbruchs der Revolte gegen die Gaddafi-Diktatur in Bengasi. Man spricht viel über die negativen Entwicklungen, was gibt es an positiven Veränderungen?

Ghoga: Es gibt viel Positives. Vielleicht die wichtigste Errungenschaft ist die Meinungsfreiheit. Jeder in Libyen kann nun sagen, was er will. Und das Recht der Partizipation, alles Dinge, die unter Gaddafi verboten waren. Aber es gibt immer noch Widerstand von Anhängern des alten Regimes. Sie beschreiben den 17. Februar nicht als Revolution, sondern als Akt der Zerstörung, und sie akzeptieren auch heute noch keine Verfechter des 17. Februar.

STANDARD: Es gibt aber auch Stimmen, die kritisieren, dass in dem politischen Abkommen die Anhänger des alten Systems übergangen wurden?

Ghoga: Wer führte die Revolution am Anfang? Das waren alles Leute, die unter Gaddafi schon hohe Funktionen hatten. Wir haben damals niemanden ausgeschlossen und gegen das Isolationsgesetz gekämpft, das später durchgesetzt wurde und zu der heutigen Polarisierung geführt hat. Aber diese alten Kräfte haben letztlich auch keine andere Wahl, als den politischen Weg und die neue Regierung zu unterstützen. Denn diese Regierung ist sehr wichtig, um gegen Terror und Extremisten zu kämpfen.

STANDARD: Wie groß ist die Gefahr für Libyen durch Terrorgruppen wie den "Islamischen Staat"?

Ghoga: Sehr groß. Die libysche Krise hat einen fruchtbaren Boden geliefert, damit sie sprießen und sich über das ganz Land verteilen können. Solange wir gespalten sind, können wir nicht dagegen ankämpfen und diesen Krieg gegen den Terror gewinnen. Aber wenn wir die Regierung der Nationalen Einheit akzeptieren, wird die internationale Gemeinschaft diesen Kampf und den Wiederaufbau des Landes unterstützen. Wir brauchen diese Hilfe, die wird entscheidend sein. (Astrid Frefel, 4.2.2016)