Ein Polizist bewacht eine Straße in Paris.

Foto: AFP PHOTO / LIONEL BONAVENTURE

Die Besucher sind nicht unfroh, dass vor dem Kino Les 3 Luxembourg bewaffnete Polizisten stehen. Auf dem Programm steht unter anderem Salafistes, ein Dokumentarfilm des französischen Regisseurs François Margolin und des mauretanischen Journalisten Lemine Ould Salem. Letzterer schaffte es 2012 als einer von wenigen, Bewohner und Islamisten der Scharia-Zone in Nordmali zu filmen, bevor Frankreichs Armee dieser ein Ende setzte.

Der Streifen, der in einem Dutzend Kinos in Paris und auch in Provinzstädten läuft, zeigt während 70 Minuten das Leben unter den "Barbus" (Bärtigen). Religiöse Patrouillen setzen die Verschleierung der Frauen durch; ein Mann raucht in einem Versteck, ein Religionsrichter erzählt neben Gewehr und Koran von seiner Arbeit.

Erschreckende Szenen

Einzelne Szenen sind absolut unerträglich – etwa wenn ein Jugendlicher unter Peitschenschlägen zuckt. Ein gefesselter Dieb, dem in Gao die rechte Hand abgehackt wird, fällt in Ohnmacht. Ein anderer Mann, der in Timbuktu schon das gleiche Schicksal erlitten hat und seinen Armstumpf zeigt, erzählt unter dem wachsamen Auge seiner Peiniger: "Sie haben mir versichert, dass sie für alles und auch die Medikamente aufkommen werden, bis ich wiederhergestellt bin."

Alltag im Gottesstaat. Das Dokument der kurzlebigen Islamistenherrschaft enthält keinerlei Kommentar. Das wird ihm angekreidet. Viele Bilder rufen geradezu nach Erklärung. So müssen sich die Zuschauer selbst zusammenreimen, was aus den Bildern spricht. Zum Beispiel, dass die Scharia-Verantwortlichen letztlich vor allem die menschlichen Laster zu unterdrücken suchen: Tabak, Alkohol, Sex, Tanz, Singen und Musik.

Am meisten Kritik üben die Pariser Medien, weil der Dokumentarfilm auch bekannte Internethorrorbilder aus der IS-Propaganda einstreut, in denen etwa "verurteilte" Homosexuelle von einem hohen Gebäude in den Tod gestoßen werden, wobei diese Bilder aus Syrien oder dem Irak nicht einmal als solche kenntlich gemacht sind. Offensichtlich vertrauten die Filmemacher der Wirkung ihrer eigenen Bilder aus Timbuktu nicht genug.

Vorwurf und Verteidigung

Le Figaro wirft Salafistes vor, unfreiwillig den Terror zu verherrlichen. Kulturministerin Fleur Pellerin überlegte sogar ein Verbot. Schließlich untersagte sie Salafistes nur für unter 18-Jährige; das öffentlich-rechtliche TV entzog seine Unterstützung. Filmemacher Claude Lanzman (Shoah) wandte sich aber gegen die "Zensur" eines "Meisterwerks".

Die Zeitung Le Monde hält den Dokumentarfilm für "bedeutsam". Er mache klar, dass sich der Jihadismus keineswegs auf die IS-Milizen in Syrien und im Irak beschränke, sondern auch in West- und Nordafrika auf dem Vormarsch sei. Das gelte auch für Länder wie Mali, die bisher einen sehr gemäßigten Islam pflegten.

Und es gilt letztlich auch für Frankreich, wo die Polizei laut einer Meldung von Mittwoch 8200 Radikalislamisten registriert hat – doppelt so viele wie vor Jahresfrist – und wo die Regierung am Mittwoch den Ausnahmezustand um mindestens drei weitere Monate verlängert hat.

Frankreichs Jihadistenszene thematisiert ein 2014 gedrehter Spielfilm von Nicolas Boukhrief. Der Thriller mit dem bezeichnenden Titel Made in France schildert, wie ein muslimischer Journalist versucht, sich in die Szene einzuschmuggeln. Er gerät in eine Banlieue-Gang, die unter dem Einfluss eines Pakistan-Rückkehrers einen Anschlag auf den Champs-Élysées plant.

"Too Soon"

Der eher spannende als politische Film war schon vor der Anschlagsserie von 2015 in Paris fertiggestellt. Ins Kino kam er bis heute nicht; nur per Video-on-Demand ist er seit einer Woche zu sehen. Nacheinander zogen Verleiher und Kinobetreiber ihre Zusage zurück, als die Anschläge auf die Charlie Hebdo-Redaktion und das Bataclan-Konzertlokal erfolgten. "Die Leute haben Angst", erklärte ein Betreiber in Pariser Medien.

Wie in den USA 2001, wo lange das Schlagwort "too soon" galt, scheint Frankreich vorerst nicht bereit, das Anschlagstrauma als Leinwandfiktion zu verarbeiten, wobei die Fiktion von Made in France durchaus verstörend ist – so verstörend wie der Titel. Ohne es zu sagen, geht aus dem Plot hervor, dass der in Syrien und Belgien geplante Terror undenkbar wäre ohne die "hausgemachten" Probleme Frankreichs – das Leben junger Banlieue-Bewohner zwischen Alkohol und Drogen, Pornografie und Kriminalität, Schulversagen und Arbeitslosigkeit. Halt findet es einzig im rigorosen Islam salafistischer Hinterzimmermoscheen; und von dort driftet es erschreckend schnell und nahtlos in die eiskalte Gewalt möglichst mörderischer Terroranschläge ab.

"Die Leute haben Angst", sagt ein französischer Kinobetreiber. Daher habe es der Film "Made in France", der sich mit einem fiktiven Terroranschlag beschäftigt, nicht auf Frankreichs Leinwände geschafft. (Stefan Brändle aus Paris, 4.2.2016)