Dass der Vizekanzler eines EU-Landes nach Moskau fährt und dort die von der Union verhängten Sanktionen gegen Russland kritisiert, ist ein bemerkenswerter Akt. Schließlich sind die Wirtschaftssanktionen erst am 21. Dezember um weitere sechs Monate verlängert worden – mit Zustimmung Österreichs. In der Begründung wird der Ukraine-Konflikt angeführt. Erst am Montag hatte Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel Russlands Präsidenten Wladimir Putin in Moskau aufgefordert, mehr Druck auf die prorussischen Separatisten in der Ostukraine auszuüben, den Waffenstillstand einzuhalten und den OSZE-Beobachtern uneingeschränkten Zugang zu ermöglichen.

Von Reinhold Mitterlehner war aber nicht Kritik an Russlands Annexion der Krim oder dessen Rolle im Konflikt mit der Ukraine zu hören, sondern an der EU – wegen ihrer Russland-Politik. Schon im Vorfeld hatte der Wirtschaftsminister erklärt, er wolle "weniger die demokratiepolitischen Aspekte in den Vordergrund rücken" und vielmehr die Interessen der in Russland tätigen österreichischen Unternehmen. "Im Endeffekt hängen davon rund 40.000 Arbeitsplätze ab", lautet die Begründung des ÖVP-Chefs, der das als "Interessenvertretungsfrage, die wir hier gegenüber Russland wahrnehmen", sieht.

Mit dieser Position, die vom Koalitionspartner SPÖ geteilt wird, stellt sich Mitterlehner in den Dienst der Wirtschaft und gegen die EU. Auch wenn er auf die Notwendigkeit der Einhaltung des Minsker Ukraine-Friedensprozesses hingewiesen hat: Österreich unterläuft damit die von allen 28 Staaten beschlossenen Sanktionen. Mitterlehner betätigt sich als Türöffner für österreichische Konzerne wie Andritz und OMV, deren Verhandlungen mit der Gazprom kritisch beobachtet werden.

Die international geächteten Russen sind froh über die Honneurs der politischen Prominenz aus Österreich und der zahlreich nach Moskau gereisten Unternehmensvertreter. Der Vizekanzler wird sogar von Regierungschef Dmitri Medwedew empfangen. Gesprächspartner war auch Vizepremier Dmitri Kosak, für den ein Einreiseverbot in die EU wegen dessen Zuständigkeit für die Integration der annektierten Krim besteht. Wenn der russische Gesprächspartner schon nicht in die EU reisen darf, kommt der österreichische Wirtschaftsminister eben nach Moskau. 26 Investitionsvorhaben sollen angebahnt worden sein – aber da diese geheim sind, lässt sich nicht überprüfen, ob es mehr als Absichtserklärungen sind.

Wer für die Aufhebung der Sanktionen ist, auch weil man Moskau bei der Lösung des Syrien-Konflikts braucht, sollte auf EU-Ebene dafür kämpfen und nicht hintenherum Geschäfte machen. Mitterlehner verhält sich wie der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), der mit seinem Moskau-Besuch zusätzlich einen innenpolitischen Effekt erzielen will: Er stellt sich einmal mehr gegen Kanzlerin Angela Merkel von der Schwesterpartei CDU. Auch Frankreichs Wirtschaftsminister Emmanuel Macron war schon in Moskau, aber Mitterlehner ist als Vizekanzler ranghöher.

Durch das Ausscheren aus der EU-Linie setzt sich Österreich Kritik osteuropäischer EU-Länder aus, deren Solidarität bei der Verteilung der Flüchtlinge Wien zu Recht einfordert. Indem sich Österreich zum Fürsprecher Putins macht, signalisiert auch Wien, dass man sich vorrangig um eigene (Wirtschafts-)Interessen kümmert.

(Alexandra Föderl-Schmid, 3.2.2016)