Ein großer weißer Pudel muss keine Angst haben. Und drei große weiße Pudel schon gar nicht. Als solche haben sich die Pensionistinnen Gerti, Helga und Rosi verkleidet. "Kölle alaaf!", dieser Schlachtruf muss sein, dann noch ein Schluck Bier, es ist schließlich schon neun Uhr morgens und das närrische Treiben an Weiberfastnacht, dem Auftakt zum Faschingsfinale, voll im Gang. "Ach, diese Grapscher, da hab' ich gar keine Sorge", sagt Rosi. "Wär schön, wenn mal einer hergreifen würde", ergänzt Helga, und sogleich bricht ein großes Kudern und Kichern los. "Mer losse uns den Karneval net versauen", sagt Gerti und erklärt die Strategie der drei Karnevalsveteraninnen, die dieses Jahr dann doch ein klein wenig adaptiert wurde: "Nur noch zu dritt aufs Klo."
Ina, ein junges Mäuschen daneben – und das ist nicht abwertend, sondern im Sinne der Verkleidung gemeint –, hält nicht einmal davon etwas: "Das ist alles Blödsinn. Karneval ist wie immer. Ich schränke mich überhaupt nicht ein, ich ändere gar nichts, ich will einfach nur feiern." Karneval 2016 in Köln. Es ist der erste Karneval nach den Angriffen von Männern aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum auf Frauen. Die Angriffe haben Deutschland nachhaltig erschüttert, und in Köln herrschte vor dem Karneval bei Polizei und Politikern große Sorge: was, wenn sich das in der närrischen Zeit wiederholen würde?
Also gibt es für diesen Karneval ein neues Konzept: massive Polizeipräsenz, rund 2.500 Polizisten sind im Einsatz, am Dom gibt es eine eigene Anlaufstelle für Frauen, die belästigt werden. "Ich brauch' die sicher nicht", sagt Maren, eine etwas dralle, aber sehr flotte Biene. Ihr schwarz-gelb gestreiftes Kostüm erlaubt tiefe Einblicke, aber Maren meint: "Das gehört doch zum Karneval dazu." Klar, da greife schon einmal einer hin, wo es nichts zu greifen gebe. "Aber wenn es zu viel wird, dann kriegt der einfach eine geknallt", sagt sie. Und überhaupt: "Die tun jetzt so, als sei Grapschen erst in diesem Jahr ein Problem. Völliger Quatsch, auch deutsche Männer benehmen sich im Karneval reihenweise daneben." Ihr macht etwas anderes mehr Angst: "Dass jetzt manche Rechte glauben, sie müssten sich als Beschützer der Frauen aufspielen. Das brauchen wir hier in Köln überhaupt nicht."
Gut findet Biene Maren dennoch die vielen Flyer, die vorab in den Karnevalshochburgen verteilt wurden: "Es muss ja für Fremde wirklich ein bisschen befremdlich wirken, wie es bei uns hier zugeht." In der Tat. In der gesamten Kölner Innenstadt gibt es an Weiberfastnacht keinen, der nicht verkleidet ist. Seit dem frühen Morgen wird geschunkelt, auf der Hauptbühne spielen lokale Größen wie "Kuhl un de Gäng", "Funky Marys", "Cölln Girls" und "Blom un Blömcher".
Wer hier nicht mitklatscht, wird bloß davon abgehalten, weil er ein alkoholisches Getränk in Händen hält. Aber es gibt ja diverse "Karnevalsknigge", in denen das lustige Treiben erklärt wird. Die Kölner seien "ziemlich offen und neugierig Fremden gegenüber", heißt es darin, und auch das "Schunkeln" wird erklärt: "Zur Musik haken sich Kölner beim Nebenmann ein." Doch gleich wird vor zu hohen Erwartungen gewarnt: Oft halte "diese Bekanntschaft nur ein Lied lang", und es wird dann in einer anderen Gruppe weitergefeiert. Auch bei einer derartigen Abwendung eines womöglich heißen Funkemariechens seien "Freundlichkeit und Respekt oberstes Gebot".
Auch das millionenfach verteilte "Bützje" wird erklärt. Das sei ein "harmloses Küsschen auf die Wange, ein Ausdruck der Freude und der Sympathie". Aber, Achtung: "Ein Bützje bleibt unverbindlich, verpflichtet zu nichts und wird daher auch an viele verteilt." Die Stadt Bonn klärt auf Handzetteln auf Englisch und Arabisch gleich noch weiter auf: Eine "sexuelle Annäherung" nach einem Bützje sei noch längst "nicht erlaubt". Die Kölner Caritas hat sogar 150 Flüchtlinge eingeladen, um ihnen die Karnevalsregeln und die Bräuche persönlich in einem Crashkurs zu erklären. "Take a left arm, take a right arm and swing", so wird das Schunkeln gelehrt. Und natürlich auch hier oberstes Gebot: keine Übergriffe!
Am Alten Markt, unweit des Kölner Rathauses, ist es mittlerweile brechend voll. Eine Giraffe hüpft wild herum und schüttelt den Kopf. "Die Einlasskontrollen waren dieses Jahr schon genauer", sagt das Plüschtier und fügt hinzu: "Wäre hier natürlich ideal für Terroristen." Eine konkrete Terrordrohung liegt nicht vor, aber es gibt nach wie vor eine "abstrakte Terrorgefahr". Der Giraffe ist das egal: "Soll ich deswegen zu Hause hocken? Wenn's passiert, dann passiert's eben." Die Kölner Polizei ist seit Jahren auf einen Terroranschlag auf den Rosenmontagszug vorbereitet. In diesem Fall würde sie, wie es im Polizeijargon heißt, den Zug "kontrolliert beenden". Einfach würde das nicht werden. Eine Million Feierwütige stehen am Straßenrand, der Zug der mehr als einhundert Wagen ist mehr als sieben Kilometer lang.
Aber der Rosenmontag ist an der heutigen Weiberfastnacht noch weit weg. Jetzt muss überhaupt der Straßenkarneval einmal eröffnet werden, was ohnehin eine reine Formsache ist. Um 11.11 Uhr trat Kölns parteilose Oberbürgermeisterin Henriette Reker in einem Gardekostüm auf die Bühne und gab den Startschuss. Sie hatte im Vorfeld angekündigt, die Polizei werde "konsequent gegen alle vorgehen, die hier über die Stränge schlagen". Aber sie räumte auch ein: "Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht." Ihr Tipp nach der Silvesternacht an Frauen, zur Not eine "Armlänge" Abstand zu halten, wurde viel belächelt und stark kritisiert.
Auch Meerjungfrau Claudia, mit grünem Wischmopp auf dem Kopf, kann damit wenig anfangen: "Wie soll man hier denn bitteschön Abstand halten?", sagt sie und schaut auf das Gewusel und Gedränge. Es ist eine einzige bunte Masse auf dem Platz. "Man muss nicht alles zerreden, diese Silvesterübergriffe waren etwas ganz anderes", sagt sie und erklärt wie so viele andere auch: "Ich lass' mich nicht verrückt machen."
Dezent im Hintergrund hält sich die Polizei. Unzählige Mannschaftswagen stehen in abgelegeneren Gassen, noch lehnen die Einsatzkräfte (übrigens unkostümiert) entspannt an den Autos.
Vor einer Pizzeria steht ein Mitglied des Sondereinsatzkommandos (SEK). Schusssichere Weste, Waffe, feste Stiefel. Oh nein, es ist gar kein SEK-Mann, es ist der 24-jährige Dieter in spezieller Verkleidung. Hat nicht die Polizei gebeten, Kostüme mit Waffen zu vermeiden, damit es zu keinen Missverständnissen kommen kann? "Lächerlich", sagt Dieter, "sieht doch jeder, dass das hier nicht echt ist. Hab' ich jedes Jahr an, also warum nicht auch in diesem Karneval?" (Birgit Baumann aus Köln, 4.2.2016)