Gegenseitige Bewunderung: Franziska Pigulla synchronisiert Gillian Anderson auch in der Neuauflage von "Akte X".

Foto: Axel Kranz

STANDARD: Stimmt es, dass Gillian Anderson Sie als Vorbild sieht und Ihre Stimme imitieren wollte?

Pigulla: Das hat sie einmal in einem BBC-Interview gesagt, als sie gefragt wurde, ob sie von "Akte X" auch synchronisierte Fassungen kennt. Sie sagte, dass sie einige Versionen kenne und sehr angetan ist von ihrer deutschen Stimme. Eine Zeitlang habe sie versucht, diese deutsche Stimme zu imitieren, das hat aber nicht so recht geklappt. So ein Kompliment freut mich natürlich sehr. Ein Ritterschlag.

STANDARD: Wenn Sie Gillian Anderson vom "Akte X"-Start 1993 mit der Schauspielerin von heute vergleichen: Was hat sich verändert?

Pigulla: Schauspielerisch betrachtet entwickelt sich jeder Künstler immer weiter. Sie ist nach wie vor auf dem gleich hohen Niveau, vielleicht ist sie aber noch ein bisschen souveräner geworden. Ich finde ja, dass sie immer schöner wird.

STANDARD: Kennen Sie sie persönlich?

Pigulla: Ich habe sie einmal in London getroffen, wo sie Theater gespielt hat. Der Produzent dieser Aufführung hat ein Treffen arrangiert. Sie ist sehr nett und charmant.

STANDARD: Wie haben Sie reagiert, als Sie erfahren haben, dass es eine Neuauflage von "Akte X" gibt?

Pigulla: Zunächst war ich einmal überrascht. Nach so langer Zeit konnte ich mir das gar nicht vorstellen.

Neue X-Akten für Scully und Mulder.
Foto: ORF/Fox

STANDARD: Gefällt Ihnen die Serie eigentlich?

Pigulla: Ich mag die Serie sehr. Als wir 1993 damit anfingen, hat keiner geahnt, welcher Erfolg das wird. Wir dachten, das ist schon wieder irgendeine US-Krimiserie, bei der vielleicht drei Folgen synchronisiert werden. Im Atelier haben wir uns dann angeschaut und gesagt: Mensch, das ist richtig gut. Dass wir das zehn Jahre machen, hat kein Mensch geahnt. Ich bin damals mehr oder weniger auf dem Gang angesprochen worden, ob ich nächste Woche Zeit für eine neue Krimiserie habe.

STANDARD: Und die Neuauflage?

Pigulla: Teilweise werden die Geschichten weitererzählt und Fäden aufgenommen, die damals – typisch "Akte X" – offen blieben. Nach der langen Pause vermisse ich aber die Informationen, was die Protagonisten in der Zwischenzeit gemacht haben. Von Dana Scully weiß man, dass sie als Ärztin gearbeitet hat, aber von Mulder erfährt man wenig. Das bezieht sich aber nur auf jene Passagen, die ich gesehen habe.

STANDARD: Was sehen Sie beim Synchronisieren?

Pigulla: Ich habe nur die Szenen gesehen, in denen Scully dabei ist. Ich weiß ungefähr, worum es geht, weil wir eine Inhaltsangabe bekommen und der Regisseur die Geschichte erzählt.

STANDARD: Mit Benjamin Völz ist der langjährige Sprecher von David Duchovny aktuell nicht dabei. Zum Bedauern vieler Seher. Auch von Ihnen?

Pigulla: Ich finde es sehr schade, weil das einfach eine Irritation ist. Das hat nichts mit dem neuen Kollegen zu tun. Früher waren wir zu zweit im Atelier, jetzt wird alles getrennt aufgenommen. Meinen neuen Partner habe ich noch gar nicht kennengelernt. Ich weiß auch nicht, wie er klingt. Im Falle von "Akte X" ist das schon eine Umstellung, weil wir das zehn Jahre im Team gemacht haben. Jetzt habe ich mich teilweise einsam gefühlt. Schneller ist der Arbeitsablauf, weil man nicht aufeinander warten muss.

Benjamin Völz.
Foto: Völz

STANDARD: Synchronsprecher Wolfgang Pampel hat gemeint, dass den Dialogen durch das Sprechen im Duett mehr Leben eingehaucht wird. Wie sehen Sie das?

Pigulla: Ja, dass solche Emotionen wegfallen, ist ein großer Nachteil des getrennten Aufnehmens. Wir sind aber alle professionell genug, dass man das herstellen kann. Wir sind den Schauspielern verpflichtet, die wir synchronisieren. So entsteht schon eine Dialogsituation. Am Ende sind die Unterschiede vielleicht Nuancen und für den Zuseher nicht wahrnehmbar.

STANDARD: Wie lange dauern Synchronisierungsarbeiten?

Pigulla: Früher, als wir zusammen synchronisiert haben, waren es drei Folgen in zehn Tagen. Die Arbeiten an den sechs aktuellen Folgen nur mit meinem Part haben 14 Tage gedauert, wobei wir auch nicht jeden Tag aufgenommen haben. Für die Gesamtproduktion geht es also wahrscheinlich gar nicht schneller.

STANDARD: Der Vertrag läuft immer nur für eine Staffel. Sollte es eine Fortsetzung geben: Sind Sie auf Dana Scully abonniert?

Pigulla: Automatisch ist gar nichts mehr. Dass Wechsel vorgenommen werden, betrifft fast alle Kollegen. In der Regel mit sehr unglücklichem Ergebnis. Das ist ärgerlich. Im Rennen die Pferde zu wechseln, ist nie gut.

STANDARD: Ist es für Sie eine Art Verpflichtung gegenüber den Zusehern, dass Sie die Rolle wieder übernehmen, um einen Bruch zu vermeiden?

Pigulla: In dem Fall ist es keine Verpflichtung, sondern eine Ehre. Ich mag Gillian Anderson wirklich sehr. Es ist für mich eine Freude, sie zu synchronisieren.

Gillian Anderson als Dana Scully.
Foto: ORF/Fox

STANDARD: Zwischendurch sprachen Sie auch Demi Moore. Kann man die mit Gillian Anderson vergleichen?

Pigulla: Demi Moore ist eine ganz andere Schauspielerin. In erster Linie ist man dem Künstler verpflichtet, den man synchronisiert. Die Arbeit ist gleich, die Vorgaben sind klar. Was die auf der Leinwand spielt, muss ich stimmlich bedienen.

STANDARD: Auch nicht, wenn Schauspielerinnen anders beurteilt werden? Demi Moore steht bei Filmkritikern nicht gerade hoch im Kurs.

Pigulla: Das hat überhaupt keinen Einfluss auf die Arbeit. Kritiker schreiben sehr viel und wollen sich oftmals selber profilieren. Da ist oft auch sehr viel Ungerechtigkeit im Spiel. An solchen Rankings möchte ich mich nicht beteiligen. Wie heißt es beim Fußball? Der nächste Gegner ist immer der Schwerste. Und jede Kollegin hat Anspruch auf sorgfältige Arbeit. Daran halte ich mich.

Demi Moore in "Ein unmoralisches Angebot".
Foto: Paramount

STANDARD: Felicity Huffman haben Sie in "Transamerica" gesprochen, nicht aber in "Desperate Housewives". Warum?

Pigulla: Felicity Huffman hatte ja eine fixe Synchronsprecherin in "Desperate Housewives", aber eine völlig andere Rolle in "Transamerica". Es war wichtig, diese Wandlung, den Status zwischen männlich und weiblich, zu transportieren. Das ist eine der wenigen Ausnahmen, bei denen ich einen Wechsel legitim finde. Den männlichen Aspekt konnte ich gut bedienen. Es waren auch einige Transsexuelle unter meinen Rollen. Bei Sharon Stone und Demi Moore wollte sich die standardmäßige Synchronsprecherin für ein paar Jahre aus dem Geschäft zurückziehen. Da gab es Castings, wer in der Zwischenzeit ihren Part übernimmt. Bei diesen drei Filmen mit Demi Moore ("Ein unmoralisches Angebot", 1993; "Enthüllung", 1994 und "Tiefe der Sehnsucht", 2000, Anm.) ist es geblieben. Das ist richtig so und heute wird Demi Moore wieder von Katja Nottke gesprochen.

Felicity Huffman in "Transamerica".
Foto: Belladonna

STANDARD: Sharon Stone haben Sie nur einmal gesprochen.

Pigulla: Ja, das war in "Begegnungen" im Jahr 1994. Ein Remake eines Romy-Schneider-Films. Da fand ich Sharon Stone sehr beeindruckend. Bis dahin war ich der Meinung, na ja, das ist eine Hollywood-Blondine, die gehypt wird, aber ihre schauspielerische Qualität in diesem Film war großartig. Der Film selbst war in Deutschland kein großer Erfolg. Zu Unrecht.

STANDARD: Famke Janssen sprachen Sie auch. Sind Sie mit Ihrer tiefen Stimme für solche Frauentypen prädestiniert?

Pigulla: Die erste Rolle war 1994 in dem Film "Racheengel in Leder", in dem Famke Janssen als Kickboxerin unterwegs ist und Selbstjustiz an Männern übt, die Frauen belästigen. Diese Rolle hatte viel Martialisches und ich nehme an, dass man mich deshalb drauf besetzt hat.

Bild nicht mehr verfügbar.

Famke Janssen.
Foto: Reuters / McGregor

STANDARD: Gibt es eine Wunschliste mit Schauspielerinnen, die Sie synchronisieren möchten?

Pigulla: Es gibt so viele tolle Schauspielerinnen, aber nicht zu allen passt meine Stimme. Gina Gershon würde ich gerne wieder sprechen ("Frank Sinatra – der Weg an die Spitze", 1993, oder "Girls", 1995; Anm.) oder Lena Olin ("Romeo is Bleeding", 1993; Anm.). Das sind gute Beispiele für diese Irritation. Beide wurden von insgesamt vier oder fünf Kolleginnen gesprochen.

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Gina Gershon.
Foto: Reuters / Moloshok

STANDARD: Beim "Knight Rider"-Comeback 2008 haben Sie im Pilotfilm Susan Gibney als Jennifer gesprochen. Warum wurde aus der Serie nichts?

Pigulla: An diese Rolle kann ich mich ehrlich gesagt nicht erinnern (lacht). Manchmal muss ich selber auf Listen schauen und bin dann oft überrascht, was ich alles gemacht habe.

STANDARD: Hatten Sie in einer Serie verschiedene Rollen?

Pigulla: Es gibt solche Produktionen, etwa Dailysoaps wie" California Clan". Das habe ich ganz am Anfang gemacht. Am Ende standen dann über 2.000 Folgen mit unzähligen Personen. Wir haben uns amüsiert. Ich allein hatte drei oder vier verschiedene Rollen, die ganz dramatisch zu Tode kamen. Das betraf nicht nur mich, sondern alle Kollegen. So ein Figurenreichtum konnte nicht anders gestemmt werden. Das ist aber die Ausnahme und wird normalerweise vermieden.

STANDARD: Hat sich die Branche professionalisiert?

Pigulla: Wenn Sie sich Filme aus den 30er- oder 40er-Jahren ansehen, ist das niedlich, weil da Sachen vorkommen wie: "Ja, Fräulein Smith, dann kommen Sie doch mal rein" oder so in der Art. Heute passt man das an den Sprachduktus an. Die Übersetzungen klingen viel organischer. Rein handwerklich betrachtet ist die Synchronisation, also wie die Sprache zu den Lippenbewegungen passt, viel besser und feiner geworden.

STANDARD: Benjamin Völz beklagte in einem STANDARD-Interview, dass die Arbeit von Synchronsprechern zu wenig honoriert werde. Sehen Sie das auch so?

Pigulla: Es verändert sich zum Positiven. Immer häufiger werden Synchronsprecher im Abspann genannt. Zu meiner Anfangszeit war das eine reine Dienstleistung, ohne in Erscheinung zu treten. Jetzt erkennen viele Zuseher Kollegen wieder, die sehr markante Stimmen haben – etwa Magnum, Robert De Niro oder Tom Hanks. Diese Anerkennung ist erst in den letzten Jahren gekommen. Ich mache es aber nicht dafür, sondern weil es mir Freude macht, ich damit meinen Lebensunterhalt bestreiten kann und es ein Aspekt des Schauspielerberufs ist.

STANDARD: Wie beurteilen Sie Ihre Arbeit und den Grad der Zufriedenheit?

Pigulla: Meistens bin ich zufrieden, manchmal aber auch nicht. Ich schaue jetzt nicht alles, aber stichprobenartig finde ich es wichtig, immer wieder die eigene Arbeit zu kontrollieren. Damit sich nicht irgendwelche Marotten einschleichen.

STANDARD: Können Sie wie ein normaler Zuseher ins Kino gehen?

Pigulla: Ja und nein. Es passiert schon, dass ich mich frage: Mensch, wer spricht jetzt diesen Schauspieler? und ich den ganzen Film hoffe, dass mir der Name einfällt. Das kann schon von der Handlung ablenken.

STANDARD: Schauen Sie Filme lieber im Original oder synchronisiert, weil Sie selbst in dem Metier sind?

Pigulla: Spreche ich die Sprache nicht, schaue ich die Synchronfassung. Vor allem bei britischen Produktionen sind es möglichst Originalfassungen. Heutzutage ist das mit den DVDs ja kein Problem. Im Kino hat man manchmal die Wahl, im Fernsehen zu selten, was ich bedaure. Vor ein paar Jahren gab es noch öfter die Möglichkeit, Zweikanalton zu schauen. Das ist leider etwas aus der Mode gekommen.

STANDARD: Ihre Stimme ist Ihr Kapital. Wie halten Sie sie in Schuss?

Pigulla: Training ist immer gut. Zum Beispiel summen. Vom Umfang ist es nicht vergleichbar mit dem Training, das ein Opernsänger absolviert, der jeden Tag seine Tonleitern und Etüden macht. Aber es ist schon sinnvoll, die Stimme aufzuwärmen, bevor man zum ersten Termin geht.

STANDARD: Sie sprechen Hörbücher, Werbungen, Reportagen et cetera, sind aber eigentlich ausgebildete Schauspielerin. Wollen Sie wieder aktiv werden?

Pigulla: Hin und wieder halte ich Lesungen, sonst ist es nur Stimmarbeit. Bühne oder Film habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht. Vielleicht kommt jemand auf die Idee und fragt an, dann würde ich das prüfen, aber von mir aus habe ich keine Ambitionen. (Oliver Mark, 4.2.2016)

"Trailer zur Neuauflage von Akte X"

Jash: Serientrailer!