Vertreter von mehr als 70 Staaten trafen sich am Donnerstag unter strenger Bewachung in London.

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Syrien-Vermittler Staffan de Mistura hatte zuvor die Genfer Gespräche vertagt.

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An der Dramatik der Lage gibt es keinen Zweifel: Die Anrainerstaaten Syriens sehen sich durch die Millionen von Flüchtlingen aus dem bürgerkriegsgeplagten Land einer schier unlösbaren Aufgabe gegenüber. Und auch dort kippt zunehmend wegen der hohen Flüchtlingszahlen die Stimmung. König Abdullah befürchtet einen "Dammbruch" in Jordanien, in dem die Syrer inzwischen 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu sieht nach der jüngsten Bombardierung Aleppos weitere hunderttausende Menschen auf sein Land zukommen; schon jetzt seien 70.000 unterwegs, sagte er. Doch bei der Geberkonferenz in London stellte sich am Donnerstag heraus: Über die notwendige Großzügigkeit der Weltgemeinschaft gehen die Vorstellungen weit auseinander. Dennoch sind insgesamt Zusagen über mehr als zehn Milliarden Dollar (neun Milliarden Euro) eingegangen.

Delegierte aus 70 Ländern

Das nach Queen Elizabeth II benannte Kongresszentrum im Brutal-Betonstil der 1970er-Jahre steht gegenüber der Westminster Abbey, praktisch im Schatten des britischen Parlaments. Auf die Zusammenkunft der Delegierten aus mehr als 70 Ländern, darunter mehr als 35 Staats- und Regierungschefs, fiel der Schatten der Nachrichten aus Genf: Die gerade erst begonnenen Gespräche zwischen den Konfliktparteien sind für mindestens drei Wochen, also bis zum 25. Februar, "vorläufig unterbrochen", wie der UN-Syrienbeauftragte Staffan de Mistura in der Nacht zum Donnerstag einräumen musste. Eine politische Lösung, von der viele Redner in London hoffnungsvoll sprachen, ist also in weiter Ferne.

Umso wichtiger sind die konkreten Initiativen, über die beraten wurde: Sie reichen von mehr Schulen über zusätzliche Ausbildungsplätze für Jugendliche bis hin zu neuen Arbeitsplätzen für die Vertriebenen – aber auch für die einheimische Bevölkerung der regionalen Aufnehmerstaaten Türkei, Libanon, Jordanien und Ägypten. Außerdem soll humanitäre Hilfe die hungernden und frierenden Menschen auf der Flucht erreichen.

Österreich beeindruckt wenig

An den Beträgen lässt sich die Dringlichkeit des Flüchtlingsproblems ablesen. US-Außenminister John Kerry stellte 825 Millionen Euro für humanitäre Soforthilfe in Aussicht, David Cameron nannte als britischen Beitrag bis 2020 1,56 Milliarden Euro. Auch Frankreich und Deutschland machten Milliardenzusagen. Davon sollen 1,2 Milliarden Euro allein in diesem Jahr syrischen Flüchtlingen zugutekommen; eine Milliarde geht an die UN-Hungerhilfe WFP, 200 Millionen fließen in ein Beschäftigungsprogramm, das kurzfristig einer halben Million Menschen Lohn und Brot verschaffen soll.

Kanzler Werner Faymann machte mit den bisher geleisteten 38 Millionen Euro wenig Eindruck; das Geld sei so wie die versprochenen weiteren 60 Millionen aber "gut investiert", betonte er bei dem Treffen: "Wenn es Perspektiven gibt, begeben sich weniger Menschen auf die gefährliche Reise nach Europa."

Außerhalb des Plenarsaals trafen sich derweil Experten und interessierte Minister zu themenzentrierten Beratungen. Der frühere britische Außenminister David Miliband, heute Leiter des US-Hilfswerks IRC, sowie Hedgefonds-Milliardär George Soros gehörten zu den zahlreichen prominenten Zuhörern bei einem Vortrag des deutschen Entwicklungshilfeministers Gerd Müller.

Man dürfe "nicht nur auf die Genfer Verhandlungen starren", sagte der CSU-Politiker, der erst vergangene Woche in der Region Dohuk im Nordirak zu Gast war. "Es gibt bereits befriedete Regionen. Für die brauchen wir einen Marshallplan."

Als Koordinator versuchte Müller den zuständigen EU-Kommissar Johannes Hahn zu gewinnen, der aber dankend ablehnte. "Die EU-Kommission hat wieder enttäuscht", sagte Müller deshalb dem STANDARD. "Der Brüsseler Haushalt muss umgeschichtet werden, schließlich wird uns dieses Problem noch auf Jahre hinaus beschäftigen." (Sebastian Borger aus London, 4.2.2016)