50 bis 60 unterschiedliche Substanzen sind in der Farbe enthalten, die sich Menschen in die Haut stechen lassen.

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Wien – "Ich bin kein Profi", stellt die junge Frau gleich am Anfang ihres Youtube-Videos klar. Dann zeigt sie ihren Zusehern, wie man sich mithilfe von Nähnadeln und Tinte zuhause selbst ein Tattoo stechen kann. Für Zartbesaitete ist das nichts – mehr als 100.000 Menschen haben sich das Video bisher dennoch angesehen. Diese alles andere als professionell ausschauenden, etwas krakeligen "Stick n Poke"-Tattoos liegen in den sozialen Netzwerken derzeit im Trend. Bei professionellen Tattoo-Studios und Medizinern lösen sie Kopfschütteln aus.

Bei Werner Aberer, Vorstand der Universitäts-Hautklinik Graz, zum Beispiel: In Tattoo-Studios sei in den letzten Jahren zumindest das Bewusstsein für sauberes Arbeiten gestiegen, die Zahlen von Infektionen nach dem Stechen seien daher gesunken. "Aber wenn sich jemand, der keine Erfahrung hat, tätowiert, dann sehe ich eine neue Problematik auf uns zukommen."

Das befürchtet auch Wolfgang Bäumler, ein Physiker, der seit mehr als zwanzig Jahren an der Universität Regensburg zu Tattoos forscht. Die Farben, die beim Tätowieren zum Einsatz kommen, finden die Experten in jedem Fall problematisch: "Um sagen zu können, dass sie sicher sind, müsste man sie wie Medikamente testen, da es Substanzen sind, die unter die Haut, also in den Köper, eingebracht werden und dort jahrzehntelang liegen. Das wäre keinem Versuchsobjekt zumutbar, und das kann und will niemand zahlen", so Aberer. Die Folge: "Was in den Farben steckt, können auch Profis nicht genau sagen", so Bäumler.

50 bis 60 Substanzen

Die Farben sind industriell gefertigt – und kommen auch für Autolacke oder Druckerpatronen zum Einsatz: "Die werden nicht hergestellt, um am menschlichen Körper appliziert zu werden", betont Bäumler: "Aber das weiß oft niemand."

50 bis 60 unterschiedliche Substanzen sind letztendlich in der Farbe enthalten, die sich Menschen in die Haut stechen lassen. "Wenn man Pech hat, dann ist eine dabei, auf die man reagiert", so Bäumler. Nämlich mit einer allergischen oder einer Fremdkörperreaktion. Beides ist zwar medikamentös behandelbar – wirken die Medikamente aber nicht, bleibt nur noch die Möglichkeit, den reaktiven Teil des Tattoos herauszuschneiden.

Keine Langzeitstudien

Egal ob selbstgemacht oder professionell gestochen: Langzeitstudien zu Tattoos gibt es keine. Zwei Drittel der Farbmenge wird in den Körper abtransportiert, sagt Bäumler: Die Haut versuche so, den Fremdkörper über das lymphathische und das Blutsystem loszuwerden. Die Lymphknoten in der Nähe der Tattoos nehmen so die Farbe der Tattoos an.

Was das bedeutet? "Ich weiß es nicht", sagt Bäumler. "Man kann derzeit weder sagen, dass es ein Problem ist – noch, dass es keines ist." Er erhält so viele Anfragen von Betroffenen, dass er sie nicht mehr alle beantworten kann: Von einer Schwangeren zum Beispiel, die sich jüngst stechen ließ, bevor sie wusste, dass sie schwanger war – und die nun wissen will, ob das Folgen für ihr ungeborenes Kind haben könnte. Eine Antwort darauf kann ihr Bäumler nicht geben.

Von Panikmache hält Aberer jedoch nichts: "Bei den Millionen an Tattoos, die es gibt, wissen wir aber natürlich: So unendlich gefährlich können diese Stoffe nicht sein, sonst würden wir Heerscharen an kranken Menschen sehen."

Schwierige Entfernung

Dafür gibt es aber Heerscharen an Menschen, die ihre Körpermodifizierung nach einigen Jahren wieder loswerden wollen. Das wird heute mittels Laser-Technologie gemacht: Dabei werden die Farbpigmente durch kurze Lichtimpulse zertrümmert.

Bäumler warnt dabei aber vor allzu großen Erwartungen: "Ich habe noch nie ein Tattoo gesehen, das komplett entfernt wurde." Häufig bleiben Reste übrig. Mitunter bleibt das Tattoo auch als Negativabdruck zurück, weil durch das Stechen des Tattoos die Haut oftmals vernarbt und dabei auch das normale Hautpigment verschwindet.

Und unproblematisch ist auch das Entfernen selbst nicht: Dabei werden durch das Erhitzen giftige Chemikalien aus der Farbe freigesetzt, die dann nicht nur in der Luft, sondern auch im Körper landen könnten, warnt Aberer.

Selbstgestochene Tattoos sind mitunter sogar leichter entfernbar, weil bei professionellen Tattoos sehr viel mehr Farbe in die Haut eingebracht wird, so Bäumler. Problematisch findet Aberer, dass Profis an der Oberfläche der Haut bleiben, während Laien viel tiefer in die Haut stechen – was nicht nur ein kosmetisches, sondern auch ein gesundheitliches Risiko ist. Wie tief die Farbe des Tattoos am Ende aber sitzt, entscheidet die Reaktion der Haut in den Tagen nach dem Stechen und nicht der Tätowierer, so Bäumler.

Tätowierungen als Fremdkörper

In seinem beruflichen Alltag sind Aberer bisher noch keine Verletzungen durch unerfahrene Self-made-Tätowierer untergekommen: "Ich hoffe, dass der einzelne Angst davor hat, zu seinem Körper zu grausam zu sein." Ausmalen will er sich aber nicht, was passieren könnte, wenn sich ein Laie eine Substanz an der falschen Körperstelle spritzt.

Von "dramatischen Gefahren" sei zwar nicht auszugehen. Am Ende sind Tätowierungen für die Experten jedoch Fremdkörper: "Da werden chronische Prozesse ausgelöst durch Dinge, die nicht in die Haut hinein gehören, und die dort eine Unruhe verursachen könnten, die sicher nicht gesund ist", so Aberer.

Bedenken, die noch nicht zu "Stick and Poke"-Fans durchgedrungen sind: Unter den Youtube-Videos stellen Interessierte Nachwuchs-Tätowierer zahlreiche Fragen. Etwa, ob sie mit 14 noch zu jung für ein "Stick and Poke"-Tattoo sind, ob es wehtut – und ob so ein Tattoo eigentlich permanent ist. (Franziska Zoidl, 12.2.2016)