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Geht es nach Frauenministerin Maneka Gandhi, könnten bisher verbotene Geschlechtertests bei ungeborenen Babys in Indien bald verpflichtend sein.

Foto: REUTERS/Jayanta Dey

Neu-Delhi/Dubai – Seit mehr als 20 Jahren ist es in Indien Ärzten gesetzlich verboten, werdenden Eltern das Geschlecht ihres ungeborenen Kindes zu verraten. Trotzdem werden immer mehr Babys abgetrieben, nur weil sie Mädchen sind. Nun denkt Indiens Frauenministerin Maneka Gandhi über eine radikale Politikwende nach. Demnach könnte das Geschlecht künftig verpflichtend bestimmt werden, um zu kontrollieren, ob weibliche Föten tatsächlich ausgetragen werden.

Die Folge war eine aufgeheizte Debatte: Seit langem versucht Indien, den "weiblichen Fetozid", wie das massenhafte Abtreiben von Mädchen in Anlehnung an Genozide genannt wird, einzudämmen. Bereits seit 1994 sind vorgeburtliche Geschlechtstests sowie gezielte Abtreibungen aufgrund des Geschlechts verboten. Es drohen bis zu fünf Jahre Haft.

Doch geholfen hat das kaum. 1961 kamen in Indien noch 976 Mädchen auf 1000 Buben im Alter bis sechs Jahre. 2011 waren es laut Zensus nur noch 918 Mädchen. Einige Ärzte sind bereit, gegen Schmiergeld Hinweise auf das Geschlecht zu geben.

Die Folgen sind dramatisch: Laut einer Studie des britischen Fachblatts The Lancet wurden in den vergangenen drei Jahrzehnten in Indien bis zu zwölf Millionen Mädchen gezielt abgetrieben oder nach der Geburt so vernachlässigt, dass sie starben. Das Missverhältnis zwischen den Geschlechtern nehme "Notstands-Proportionen" an und fördere Gewalt gegen Frauen, warnten die Vereinten Nationen bereits 2014.

Kein Vorschlag, nur "Idee"

Nun brachte Gandhi ein radikal neues Konzept ins Gespräch: Statt das Geschlecht geheimzuhalten, soll es verpflichtend bestimmt werden: Wenn eine Frau schwanger wird, wird es registriert und bis zum Ende beobachtet, ob sie das Kind zur Welt bringt. Auch wandte sie sich gegen die bisher vor allem bei Ärmeren verbreiteten Hausgeburten, weil die Gefahr bestehe, dass man unerwünschte Mädchen sterben lasse. Vielmehr soll der Werdegang der Neugeborenen für ein Jahr verfolgt werden.

Die Ministerin stellte klar, dass es sich nicht um einen offiziellen Vorschlag handelt, sondern um eine Idee. "Wir diskutieren noch", sagte sie. Ihr Vorstoß provozierte sofort wütende Kritik. Die oppositionelle Kongresspartei nannte ihn "haarsträubend". Damit könne sich der Druck auf Frauen noch verstärken, Mädchen abzutreiben. "Das kann nach hinten losgehen", sagte auch die prominente Aktivistin Ranjana Kumari zu AFP.

Personelle Unklarheiten

So ist unklar, wer die Schwangerschaft in dem Land mit 1,2 Milliarden Einwohnern bis zur Geburt und danach kontrollieren soll. In einigen Gebieten gibt es nicht einmal eine medizinische Versorgung, viele Spitäler sind bereits jetzt überfordert. Andere Kritiker warnten, damit werde das Recht von Frauen auf Abtreibung ausgehebelt. Als Folge drohe ein Anstieg illegaler Abtreibungen, die als "Fehlgeburten" getarnt würden.

Dabei sind sich Regierung und Opposition einig, dass die massenhafte Abtreibung von Mädchen eingedämmt werden muss. Premierminister Narendra Modi warnte, dass das Missverhältnis von Männern und Frauen die Entwicklung Indiens gefährde. Doch die Bevorzugung von Buben ist seit Jahrhunderten in der Gesellschaft verwurzelt. Mädchen gelten als Bürde. Weil man sie als "minderwertig" ansieht, müssen Eltern bei der Heirat hohe Mitgiftsummen zahlen und oft Kredite aufnehmen, um den höheren Wert des Bräutigams aufzuwiegen. "Eine Tochter großzuziehen ist, wie den Garten der Nachbarn zu gießen", lautet ein Sprichwort.

Der frappierende Frauenmangel führt zusehends zu sozialen Verwerfungen. In manchen Regionen haben junge Männer kaum noch eine Chance, eine Braut zu finden. Brüder teilen sich Ehefrauen. Andere kaufen sich Bräute aus weit entfernten Regionen. Viele der Frauen sprechen nicht die örtliche Sprache und werden wie Sklavinnen gehalten. (Christine Möllhoff, 7.2.2016)