Mehr als 68.000 Menschen setzten seit Jahresbeginn von der türkischen Ägäisküste zu den griechischen Inseln über.

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Athen/Kos – Trotz aller Appelle an die Türkei zur besseren Grenzsicherung schwillt der Flüchtlingszustrom nach Griechenland an. Gleichzeitig wächst dort der Widerstand gegen geplante Registrierzentren und Aufnahmelager für Flüchtlinge.

Mehr als 68.000 Menschen setzten seit Jahresbeginn von der türkischen Ägäisküste zu den griechischen Inseln über, teilte das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) mit. Allein in den ersten sechs Februartagen kamen demnach 7.521 Migranten nach Griechenland, im ganzen Februar 2015 waren es 2.873. Mindestens 366 Menschen überlebten die Überfahrt nicht oder werden vermisst.

Hotspot-Bau wird forciert

Mit Spannung wurde in Griechenland der für Montag anstehende Besuch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Türkei erwartet. Die Türkei ist für Migranten das wichtigste Transitland auf dem Weg nach Griechenland und in den Schengenraum. Fast alle Migranten versuchen, von Griechenland aus auf der sogenannten Balkanroute weiter Richtung Österreich und Deutschland zu gelangen.

Nach internationaler Kritik drückt Athen beim Hotspot-Bau aufs Tempo. Binnen zwei Wochen sollen auch die Registrierzentren auf den Inseln Chios, Samos, Leros und Kos fertig sein, ein weiteres auf Lesbos ist bereits in Betrieb. Zudem sind zwei große Aufnahmelager für jeweils 4.000 Menschen nahe Athen und Thessaloniki geplant.

Verlassene Kaserne gestürmt

Nach Polizeiangaben stürmten Einwohner einer Vorstadt von Thessaloniki eine verlassene Kaserne, um die Bauarbeiten des Aufnahmezentrums zu verhindern. Auf der Ferieninsel Kos zündeten Demonstranten am Wochenende auf der Zufahrtsstraße zum geplanten Hotspot bei Pyli-Limni Reifen an und bewarfen Beamte mit Steinen. Die Polizei setzte Tränengas und Schlagstöcke ein.

Am griechisch-mazedonischen Eisenbahn-Grenzübergang bei Idomeni-Gevgelija harrten am Wochenende bei eisigen Temperaturen nach Schätzungen der Polizei zwischen 5.000 und 7.000 Flüchtlinge aus. Der Stau entstehe, weil die Menschen nur in kleineren Gruppen nach Mazedonien gelassen würden. Dutzende Busse mit weiteren Migranten waren nach griechischen Medienberichten unterwegs von Piräus nach Idomeni.

Nur Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan dürfen die Grenze nach Mazedonien passieren. Schlepper machen laut örtlichen Behörden "gute Geschäfte" mit den anderen Migranten. Gegen Bargeld zeigten sie ihnen Übergangsstellen nach Mazedonien, die vor allem nachts unbeaufsichtigt seien.

"Sündenbock Europas"

Der griechische Außenminister Nikos Kotzias forderte zur Absicherung der EU-Außengrenze zwischen der Türkei und seinem Land die Entsendung von 2.000 Beamten der EU-Grenzschutzagentur Frontex. "Wir haben die EU aufgefordert, uns 2.000 Beamte der Grenzschutzagentur Frontex und 100 Boote zu schicken", sagte Kotzias der "Rheinischen Post" (Montagausgabe). "Es kamen bisher nur 800 Beamte."

Täglich kämen über die Ägäis 2.000 bis 2.400 Flüchtlinge nach Europa, sagte Kotzias. Einige Politiker versuchten, Griechenland den Schwarzen Peter zuzuschieben und Griechenland "zum Sündenbock Europas zu machen". Griechenland könne nicht gezwungen werden, aus dem Schengen-Raum auszutreten, sagte der Minister zu Drohungen u.a. aus Österreich.

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hatte nach Beratungen mit seinen EU-Kollegen am Samstag in Amsterdam die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit Mazedonien und Serbien für mehr Grenzschutz in der Flüchtlingskrise bekräftigt. "Ich bin nicht bereit, darauf zu warten, bis in Griechenland endlich Einsicht einkehrt, dass es eine Lösung der Flüchtlingskrise braucht", sagte Kurz. "Es gibt derzeit aus meiner Sicht noch immer viel zu wenig Problembewusstsein in Griechenland."

Merkel besucht Türkei

Auch Merkel forderte einen besseren Schutz der Außengrenze des Schengenraums in Griechenland. "Wir müssen unsere Außengrenze schützen, weil wir Schengen erhalten wollen", sagte die Regierungschefin am Samstag in ihrer wöchentlichen Video-Ansprache. Der Schutz der Wassergrenzen gelinge derzeit nicht sehr gut, spielte sie auf Griechenland an, ohne das Land beim Namen zu nennen.

Kurz vor Merkels Besuch reagierte die Türkei auf den Vorwurf unzureichender Grenzkontrolle. Die Regierung in Ankara erschwerte am Wochenende Irakern die Einreise. Die Maßnahme sei ein Zeichen für die "Entschlossenheit im Kampf gegen illegale Einwanderung", erklärte das Außenministerium in Ankara. Bisher erhielten irakische Staatsbürger bei der Einreise ein 30-tägiges Visum direkt an der Grenze. Dieses System wurde nun abgeschafft.

Nach Angaben des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier stellte die Türkei auch eine bessere Sicherung der Grenze zu Griechenland in Aussicht. Sein türkischer Kollege Mevlüt Cavusoglu hatte in Amsterdam weitere Anstrengungen angekündigt. Diese sollten sicherstellen, dass nicht nur besser kontrolliert werde, sondern dass auch der Flüchtlingszustrom nach Europa reguliert werde. (APA, 7.2.2016)