Irlands Keith Earls versucht, sich mit Tom James (Wales) davon zu machen.

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Wien/Dublin – Gleich der erste Six-Nations-Sonntag 2016 machte den Connaisseur mit der Zunge schnalzen, trafen doch in Dublin mit Irland und Wales jene Teams aufeinander, denen allgemein die besten Chancen eingeräumt werden, die inoffizielle Rugby-Europameisterschaft für sich zu entscheiden.

Irland geht dabei auf ein historisches Triple los, nachdem man bereits 2014 und 2015 den Titel gewinnen konnte. Doch es gibt Verletzungsprobleme. Besonders was die Stürmer der ersten und zweiten Reihe betrifft, ist die Spielerdecke bedenklich dünn geworden. Unangenehm, dass die Waliser gerade auf diesen Positionen über erfahrene und gut eingespielte Kräfte verfügen. Von einer starken Ersatzbank (kumuliert über 400 Caps nahmen darauf Platz) konnten zusätzliche Impulse ohne weiteres erwartet werden. Andererseits eilt Irlands Chefcoach Joe Schmidt der Ruf voraus, aus dem jeweils zur Verfügung stehenden Kader das beste herauskitzeln zu können.

Trotzdem wurden die Gäste favorisiert, leicht aber doch. Sehr solid, sehr strukturiert, defensiv sehr schwer zu biegen: das ist Wales. Spielerisch jedoch gibt es Luft nach oben. Langzeit-Teamchef Warren Gatland wird von manchen ein etwas zu konservativer Ansatz zum Vorwurf gemacht. Eine Weiterentwicklung in diesem Fach wäre der logische nächste Schritt für seine Equipe. Eine Prise mehr Risiko, ein Stäubchen mehr Unternehmungsgeist: die Fähigkeiten dafür sollten in der walisischen Hintermannschft unzweifelhaft vorhanden sein.

Irland vs. Wales: Highlights.
RBS 6 Nations

Doch genug der Vorrede, lassen wir das Spiel beginnen. Wie der Sturmwind kamen die Iren aus den Startblöcken, initiierten sie ab Sekunde null ihr druckvolles, auch ob seiner Beherrschtheit so gefürchtetes Phasenspiel. Kaum einmal leistet sich die von Schmidt feingetunte Maschinerie in ihrem Drive nach vorne einen Ballverlust. Wales sah sich tief in eigenem Territorium auf harte Verteidigungsarbeit zurückgeworfen. Nachdem man durch einen Penalty des endlich genesenen Spielmachers Johnny Sexton 0:3 in Rückstand geraten war (5.), folgte postwendend wütende Antwort. Allerdings zunächst ohne Wiederhall auf dem Scoreboard.

Davonziehen

Man blieb einander nichts schuldig, es ging her und hin. Jeder Durchbruch eines Herren in Grün extrahierte dabei ein röhrendes Echo auf den Rängen des Stadions an der Lansdowne Road. Das erste Kräftemessen im Scrum ergab sich erst nach einer Viertelstunde. Und tatsächlich, die Waliser erschoben sich ihren Penalty. Dan Biggar, früh angeschlagen und auf dem linken Bein heftig getaped, verzog jedoch. Wenig später musste der Spielmacher das Feld verlassen, eine erhebliche Schwächung. Und Irland zog weiter davon. Vorbildliches Teamwork wurde von einem Versuch von Conor Murray gekrönt (27.).

Die Ansätze der Waliser waren durchaus erhebend anzusehen, vorschriftsmäßig versuchte man, das Angriffsspiel rasch auf die Flügel zu verlagern. Die Iren jedoch ließen ihre Gelassenheit in keiner Sekunde fahren. Neben der Konzentrationsfähigkeit des Gegners trug auch das ein oder andere Handlingproblem seiner Ballträger dazu bei, dass das walisische Team seinen Offensivaktionen keine ausreichende Dauerhaftigkeit einhauchen konnte.

Zurückkommen

So dauerte es bis zur 33. Minute, ehe der sich gut einfügende Biggar-Ersatz Rhys Priestland via Penalty erstmals anschrieb. Dann bot sich ein Scrum fünf Meter vor der irischen Trylinie als aussichtsreiche Plattform dar. Das walisische Pack machte sein Gegenüber wie erwartet erneut wackeln – so kurz vor der Pause erschien es geradezu als kategorischer Imperativ, Kapital aus dieser Konstellation zu schlagen. Das tat Taulupe Faletau. Als der Ball das Gedränge verließ, zögerte die Nummer 8 nicht. Faletau schnappte zu und wälzte sich mit Anlauf zum ersten walisischen Versuch (38.). Das so flüchtige Element namens Momentum hatte sich auf die Seite der Gäste geschlagen, die ein zwischenzeitliches 0:13-Defizit in einen deutlich sympathischeren Halbzeitstand von 10:13 abschmelzen konnten.

Nachdem Irland durch einen weiterern Penalty von Priestland den Ausgleich geschluckt hatte (47.), setzte der Titelverteidiger alles daran, sich die Initiative zurück zu erkämpfen. Es entspann sich ein dichtes Schlachtengetümmel im Mittelfeld, in dem sich beide Seiten nicht viel nahmen. Gegenseitiges Neutralisieren der aufregenden Art, das seine Spannung aus folgender Frage bezog: Wer würde in der Lage sein, das Patt zu durchbrechen? Und je weniger Zeit auf der Uhr verblieb, desto deutlicher wurde: ein einziges Durchschlagen des Gordischen Knotens wäre wohl bereits das entscheidende.

Auch ein Kick-Duell der Fly-halves brachte keine Klarheit. Priestland (73.) wie Sexton (75.) behielten die Nerven und verwandelten. Mit 16:16 ging es in die letzten fünf Minuten und auch hier blieb die Ambition beider Teams unzweifelhaft der Sieg. Priestland scheiterte mit dem Versuch eines Dropgoals (78.) und dann war es doch vorbei. Remis, das erste zwischen Irland und Wales seit 1974. Die Favoriten teilten sich die Beute, keiner konnte sich so recht darüber freuen. Oder doch: England. Die Rosen stehen nach dem ersten Championship-Wochenende als Tabellenführer da. (Michael Robausch, 7.2. 2016)