Nordkorea hat mit seiner Rakete auch seine einzig verbliebene Schutzmacht, China, schwer brüskiert. Machthaber Kim Jong-un brach nicht nur allen Warnungen und Androhungen neuer Sanktionen zum Trotz mit dem als Satellitenstart verkleideten Test einer Langstreckenrakete bestehende UN-Resolutionen. Er wählte auch einen Peking besonders verärgernden Zeitpunkt: den Beginn des chinesischen Neujahrsfests.

Der Nordkoreaexperte Zhang Liangui spricht von einem "unverschämt provozierenden Akt". Pjöngjang hatte ursprünglich den UN-Behörden für Luftraum- und Flugsicherheit einen Termin für den Start eines "Erdbeobachtungssatelliten" zwischen dem 8. bis 25. Februar angekündigt. Vergangenen Freitag engte es kurzfristig die Vorwarnfristen auf den 7. bis 14. Februar ein.

Der Abschuss am Sonntag fiel ausgerechnet auf den Silvestertag, an dem um Mitternacht die größte Familienfeier Chinas beginnt. Schon einmal hatte Kim seinen Nachbarstaat mit einem umstrittenen Atomtest im Februar 2013 mitten während der damaligen Frühlingsfeiern schockiert. "Das ist jetzt wieder Absicht gewesen", sagte Zhang dem Standard.

Hinter Kims Provokationen steckt immer Kalkül. Diesmal aber könnte er sich verrechnet haben. Er führte Pekings Führung zu einem Zeitpunkt vor, in dem die USA immer schärfer Chinas Beschwichtigungspolitik kritisieren.

Bisher Veto gegen Sanktionen

Machthaber Kim scheint das nicht anzufechten. Der rund 34-jährige Jungdiktator baut darauf, dass die chinesische Regierung aus Eigeninteresse stillhalten muss und sein isoliertes Elendsregime mit ihrer Wirtschafts- und Energiehilfe und ihrem Vetorecht im UN-Sicherheitsrat vor dem Zusammenbruch bewahrt. Die Rechnung scheint vorerst aufzugehen. Chinas CCTV-Hauptnachrichten meldeten Sonntagmittag erst als nachrangige Meldung die einhellige weltweite Verurteilung des aktuellen Raketenabschusses.

CCTV kommentierte ihn mit einer Stellungnahme von Außenamtssprecherin Hua Chunying. Peking "verurteilt und bedauert" diese Aktion. Im gleichen Atemzug forderte Hua die Welt auf, "ruhig und kühl" zu reagieren, nichts zu unternehmen, was die Lage auf der koreanischen Halbinsel eskalieren könnte. Sie ging nicht darauf ein, dass vergangene Woche Chinas höchstrangiger Nordkoreapolitiker, Wu Dawei, in letzter Minute versuchte, Pjöngjangs Führung vor Ort vom Raketentest abzubringen.

"Höchste Zeit für harte Sanktionen"

Der renommierte Nordkoreakenner Zhang, der trotz seiner Zugehörigkeit zu Chinas Parteihochschule nicht für die Regierung spricht, sondern als Experte für internationale Politik, ist enttäuscht von der Tatenlosigkeit in Peking. "Jetzt ist höchste Zeit, mit wirklichen harten Sanktionen Nordkorea abzuschotten, bis seine Atomanlagen stillgelegt sind." Alle bisherigen Sanktionen hätten das hungernde Volk getroffen, aber nicht Kim und seine Führungsschicht. Sie beeinflussten daher nicht deren Entscheidungen.

Doch die hinhaltenden Reaktionen auf die von den USA vorgeschlagenen Sanktionen von Ölboykotten bis zu Finanzsperren zeigten, dass Peking nicht zu harten Reaktionen bereit ist.

Dennoch: Pjöngjangs hochgefährliche Entwicklung "wird uns künftig eine große negative Lehre sein", sagt Zhang. Er hatte in der Vergangenheit nach Atomtests immer wieder auch die eigene Regierung vor einer "Appeasement"-Politik gewarnt und sie aufgefordert, sich von Illusionen über Sechs-Parteien-Gespräche zu verabschieden. "Dieser Dialog ist gescheitert. Nordkorea hatte seine Teilnahme schon vor Jahren ein für alle Mal aufgekündigt. Ihn wieder zu beleben steht außerhalb jeder Möglichkeit." Peking überlasse es den USA und deren Verbündeten, das Heft in ihre Hand zu nehmen. Die USA hätten Flugzeugträger geschickt. Alles deute auf wirkliche Aktionen hin mit "schwer abschätzbaren Folgen". Aber Nordkorea lasse keine andere Wahl zu. "Wir brauchen jetzt eine neue Dringlichkeit auf allen Seiten im Umgang mit Pjöngjang." (Johnny Erling aus Peking, 7.2.2016)