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Das Rathaus in Sarajevo (Vijecnica), 1896 eröffnet, symbolisierte die neue imperiale Macht von Österreich-Ungarn. Im Vorjahr wurde mit einer Videoprojektion die Wiedereröffnung gefeiert.

Reuters/Ruvic

"In allen Sitzungen, welche den ganzen Tag andauerten, wurde eine allgemeine Erhebung des Landes gegen den österreichisch-ungarischen Eindringling beraten. In jenen Tagen hörte ich zum ersten Male das Wort 'Svabo', womit man verächtlicherweise die Österreicher bezeichnete", schrieb Josef Koetschet über die Stimmung im Nationalausschuss in Sarajevo im Jahr 1878, als man erfuhr, dass am Berliner Kongress ausgemacht wurde, dass Österreich-Ungarn Bosnien-Herzegowina besetzen wird.

138 Jahre danach neigen manche Bosnier eher zur beschönigenden Glorifizierung dieser Periode. Außenminister Sebastian Kurz will heute, Montag, in Sarajevo das österreichische Kulturjahr eröffnen, das in Bosnien-Herzegowina mit mehr als 50 Veranstaltungen stattfindet. Er trifft den bosnischen Außenminister Igor Crnadak, Kulturminister Adil Osmanovic und ein paar Kulturschaffende zum Plaudern. Auch die Schau "Bosnien und Herzegowina und Österreich im Spiegel der Bibliografie", die Einblick in die wechselseitigen publizistischen Auseinandersetzungen geben soll, wird heute eröffnet. Zu finden ist da etwa Roda Rodas Schummler, Bummler, Rossetummler aus dem Jahr 1909 – ohne den üblichen arrogant-kolonialistischen Ton.

"Nur gut, wenn man zahlt"

Roda Roda beschreibt den alten herzegowinischen Bauern Mijo, der von seinem gepachteten Grundstück vertrieben wird. Die Gendarmen argumentieren, er könne das Land nicht mehr bebauen, und dies sei "schade" für die Herrschaft und den Kaiser. "Mein Lieber!", antwortet der Bauer. "Der Kaiser ist auch nur gut, solang man ihm Steuern zahlt." Mijo kündigt an, "bis nach Wien" zu gehen, um recht zu bekommen, und fleht: "Gib mein Erbteil wenigstens einem der Unsern, aus dem verfluchten Land einem; denn ein Östreicher, weißt du, wenn der einmal darauf sitzt ..."

Ganz anders klingt die K.-u.-k.-Propaganda, die etwa bei Hugo Piffl (Kurze Orientierung über die Geschichte von Bosnien und der Hercegovina von 1910) nachzulesen ist: "Doch als am Abend jenes ewig denkwürdigen Oktobertages im Jahre 1908 die Kanonen der Forts den Moment der bleibenden Besitzergreifung mit ehernen Stimmen verkündeten (...), da beugte sich der fast sprichwörtlichen Starrsinn der Sarajlias." Damals, 1908, wurde Bosnien-Herzegowina annektiert.

Erstellt hat die Bibliografie der österreichische Botschafter in Sarajevo, Martin Pammer. "Nach der Okkupation erschienen sofort zahlreiche Werke über Geografie und Geschichte des Landes. Bosnien-Herzegowina wurde entdeckt und niemals danach so genau unter die Lupe genommen", erklärt er. Zahlreiche Reiseführer wurden damals in Wien publiziert, und Band 22 des Kronprinzenwerks (1901) beschäftigte sich mit Bosnien-Herzegowina.

"GA sind schmutzig"

Nach dem Zweiten Weltkrieg erscheinen in Österreich einerseits Reiseführer über Jugoslawien, andererseits wird das Thema Gastarbeiter behandelt. Siegfried Pflegerl beschäftigte sich 1977 mit den "GA", wie er sie nennt. 43 Prozent der befragten Österreicher halten die Jugoslawen für fleißig, 57 Prozent für "lebhaft", 58 Prozent für "bescheiden" und 16 Prozent für "kriminell". "GA sind schmutzig. Daher sind ihre Wohnungen schmutzig, daher wäre es völlig unrichtig, ihnen bessere Wohnungen zur Verfügung zu stellen, weil sie diese ohnehin wiederum verschmutzen würden", zitierte Pflegerl damals einen Österreicher.

Während des Bosnienkriegs (1992-1995) erscheinen zahlreiche Bücher über den Konflikt. Nach dem Krieg kommt es zu einer riesigen K.-u.-k.-Nostalgiewelle, die bis heute anhält. Werner Schachingers Buch Die Bosniaken kommen über die Elitetruppe in der k. u. k. Armee erscheint bereits 1994. 2014 werden viele Texte zum 100. Jahrestag des Attentats publiziert. Senad Halilbasics Literarische Vermessung einer Stadt sticht da mit einer breiteren Perspektive hervor.

Wechselseitige Stereotype

Ein Höhepunkt des Kulturjahres ist eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst (1945-2015) im März mit Werken von Max Weiler, Adolf Frohner, Oswald Oberhuber, Josef Mikl, Jürgen Messensee und Friedensreich Hundertwasser. Im April wird über "Unser Bosnien – Becka skola" diskutiert. Becka skola ("Wiener Schule") bedeutet in Bosnien so viel wie "Gutes Benehmen". Es geht um wechselseitige stereotype Wahrnehmungen der letzten 100 Jahre. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 8.2.2016)