Du darfst dir was wünschen

Mit einem Schnaufen die kleine Kerze ausgeblasen.

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Ihren letzten Geburtstag hat sie im Heim gefeiert. Ein Pfleger hat auf der Tuba ein paar Lieder gespielt, das konnte man schon unten am Parkplatz hören. Die anderen Alten haben alle mitgesungen. Sie saß aufrecht in ihrem Rollstuhl, aber ihre Augen blieben geschlossen, so als wäre es die größte Anstrengung der Welt, zwei Lider zu heben und ihr fester Vorsatz, ihren Festtag zu verschlafen. Die blinde, alte Frau neben ihr, hielt eine ihrer Hände und streichelte sie unaufhörlich.

Ich erinnere mich noch gut an den Geburtstag meiner Großmutter. Bis kurz zuvor hatte sie lange zuhause gewohnt. Immer hatten alle Angst, dass sie stürzt, weil alle wussten, dass die Oma niemals den roten Knopf drücken würde, den sie schon eine Zeit lang Tag und Nacht auf einem Band um ihr Handgelenk trug. Hat sie auch nicht, nicht beim ersten und auch nicht beim zweiten Mal, sie blieb immer liegen, wartete bis meine Tante kam und musste wochenlang mit Traumeel eingerieben werden.

Zäh und unverwüstlich

Die eigenen Wände, in denen sie so alt geworden ist, waren ihr lange heilig. Durch die ist sie jahrzehntelang mit ihrer Krücke gewackelt, zäh und unverwüstlich, hat immer noch gewerkt, Kekse gebacken, Marmelade eingekocht, uns bekocht, sich selbst ihre Leibspeise, ein Erdäpfelgulasch. War immer noch autonom, mit einem Oberschenkelhalsbruch, zwei Katzen in einem kleinen Haus mit seinem verwunschenem Garten mit Walderdbeeren, buschigen Hortensien und einer großen Tanne, die früher einmal unser Christbaum war. In Gedanken streife ich durch ihre Welt, die Orte, die sie so belebt hat mit ihrem unbändigen Willen.

Doch noch die Augen geöffnet

So als würde sie die Aussicht, dass dieser Tag doch irgendwann seinem Ende zugeht, erleichtert sein, hat sie an diesem letzten Geburtstag, am späten Nachmittag, als wir rund um sie zusammen saßen, doch noch die Augen geöffnet. Ganz leicht. Und auf die Frage, was ihr durch den Kopf geht, hat sie mit trüben alten Augen aus ihrem kleinen, müden Altfrauen-Gesicht geschaut: "Dass ich noch immer so gern auf der Welt bin", hat sie gesagt und dann mit einem Schnaufen die kleine Kerze auf dem Cupcake ausgeblasen.

Als wir gesagt haben, dass sie sich jetzt was wünschen darf, hat sie "Dass ich brav bin" gesagt. Daran erinnere ich mich. An so viel anderes auch. Meine Großmutter ist 97 Jahre alt geworden, vor einem Jahr ist sie gestorben. Die Erinnerungen an sie sind wie ein warmer Ofen, an dem wir uns alle ein bisschen wärmen können. (Mia Eidlhuber, 7.2.2016)