Wenn man wütend ist, bleibt bisweilen nur noch der Humor. Das heißt die Satire, je beißender, desto besser. Patrick Rambaud, deutschsprachigen Lesern für sein Goncourt-Preis-gekröntes Buch "Die Schlacht" über Napoleons erste Niederlage 1809 in Aspern gegen Österreich bekannt, ist "schon ein wenig wütend", wie er in einem Interview über sein neues Werk sagte.
Für Rambaud ist dieses Grundgefühl nichts Neues – es durchzieht schon seine sechs "chroniques", die er der Amtszeit Nicolas Sarkozys (2007 bis 2012) widmete. Ähnlich ergeht es ihm – und zweifellos vielen Franzosen – seit dem Amtsantritt von François Hollande. "Diese Parvenus hatten das Volk gelangweilt, sie hatten es getäuscht, jetzt machten sie es wütend", schreibt er in seinem neuesten, auf Französisch erschienenen Buch "François le Petit". François le Grand, das war François Mitterrand, meint Rambaud; der kleine Franz hingegen, das ist der, der uns jetzt gerade regiert.
Unverhofft zum Wahlfavoriten
Rambauds neustes Elaborat, dem schon jetzt der Status eines Bestsellers reserviert ist, weil es die Volksmeinung wohl genauer trifft und damit politisch bedeutsamer ist als so manches Insiderbuch über den Élysée-Palast, beginnt mit dem Satz: "Ich erzähle hier die Geschichte von einer kleinen Anzahl von Leuten, die nicht auf der Höhe der Ereignisse waren, von denen sie getragen wurden." Das ist eine Anspielung auf den Umstand, dass Hollande eigentlich nur durch ein äußeres Ereignis – die New Yorker Sexaffäre des sozialistischen Frontrunners Dominique Strauss-Kahn – unverhofft zum Wahlfavoriten aufrückte und schließlich in den Élysée-Palast einzog.
Eine unspektakuläre Existenz als Büromensch habe damit ihr Ende gefunden, schreibt der frühere Ghostwriter (nach seine Worten von vierzig teilweise bekannten Autoren!), dem heute fast nur noch Pasticcios und Parodien aus der Feder fließen. "Sobald er die Stufen der Palasttreppen erklommen und Nicolas I. ihm die Krone überreicht hatte, suchte ihn das Unglück heim", beschreibt Rambaud Hollandes Amtsantritt. Als "unsere frischgekürte Majestät" in der Staatslimousine über die Champs-Élysées gefahren sei, habe es so stark geregnet, dass sie gar nichts mehr gesehen habe durch die Brillengläser – Hollande habe nur noch "gelächelt wie ein Blinder". Bei seinem folgenden Anstandsbesuch in Berlin habe er im Flugzeug wegen Blitzeinschlags umkehren müssen.
"Nichts an ihm gefiel von Natur aus"
Rambaud benützt wie sein illustres Vorbild Saint-Simon, der Biograf Ludwigs XIV., das Imperfekt, was nur noch grausamer klingt. "Nichts an ihm gefiel von Natur aus", heißt es von dem Präsidenten, der auf 230 Seiten jede Menge situationsgemäßer Übernamen erhält: François le Flou (der Unfassbare), François l’Immobile (der Unbewegliche), François le Frileux (der Ängstliche), François l’Angouille (der Aal), François le mal Aimé (der Ungeliebte), François le Guerrier (der Krieger) oder eben: François le Petit.
Obwohl die Arbeitslosigkeit in Frankreich immer höhere Werte erklimmt, bleibt François l’Optimiste dabei: "Wir werden aus der Krise kommen, weil die Krisen immer Zyklen folgen." Seine Berater melden Skepsis an, doch Hollande bedeutet ihnen mit Verweis auf seinen Eliteschulabschluss: "Ich bin sicher, ich habe das in der ENA gelernt." Als man dem sozialistischen Exparteisekretär die Homo-Ehe vorschlägt, ruft er entgeistert aus: "Aber das ist ja ein richtig linkes Gesetz!"
Der "erleuchtete Monarch"
Rambaud billigt François le Rusé (dem Schlauen) zu: "Er hatte verstanden, dass die Kommunikation die Information überlagerte." Bloß habe er die falsche Kommunikation gewählt: Er habe sich als Normalbürger erfunden, wiewohl die Franzosen einen Chef, einen Kommandanten wollten. "Unser erleuchteter Monarch war überzeugt, dass der ‚normale‘ Stil eine Trouvaille war, die vom Volk gewünschte Antithese nach fünf Jahren Hysterie" (unter Sarkozy), meint Rambaud. "Doch sein Kalkül ging kaum darüber hinaus."
Nicht, dass der Chronist nur Hollande aufs Korn nähme; wie bei Saint-Simon kriegt der ganze Hof sein Fett weg. In dieser neusten Comédie humaine kommen vor: Nicolas le Démoli (der Abgerissene) und Gräfin Bruni zur Rechten, sekundiert von Dame Balkany und Abbé Buisson; auf der Linken die Herzöge von Evry (Premierminister Manuel Valls) und von Nantes (Expremier Jean-Marc Ayrault), ferner der Konnetabel Montebourg und der Conseiller Morelle, der für seine Luxusgamaschen eigens einen Schutzputzer in den Palast bestellte – nicht in der Satire, sondern in der Wirklichkeit!
Und natürlich ist da auch noch Madame T. (Valérie Trierweiler), die gegen ihre Rivalin, die Erzherzogin von Charentes (Ségolène Royal), eifersüchtige Tweets verfasste, bis man sie, so der Chronist, nur noch Madame Pompatweet nannte.
Nie verheiratet
Nachdem Hollande selbiger die Türe gewiesen hatte, frequentierte bald eine Schauspielerin namens Gayet das "Schloss" (wie der Élysée-Palast in der nicht minder fiktiven Wirklichkeit genannt wird). "Mademoiselle Julie war zehn Jahre jünger als die Marquise von Pompatweet, die, als sie sich in François le Flambeur verliebt hatte, zehn Jahre jünger war als die Erzherzogin von Charentes. So ging das Leben alternder Männer vonstatten, die spürten, wie der Rost ihre Knochen zerfraß." So sinniert der Chronist, der ferner anmerkt, dass der aktuelle Monarch nie verheiratet gewesen sei. Warum? "Das Nichtwählen bestimmte seine ganze Konstitution."
So kam François-le-Myope (der Kurzsichtige) zwar "zerfetzt, aber sonst zufrieden" in der Halbzeit seines Mandates an, wie Rambaud höhnt. Seine nur vorläufig letzte Chronik endet allerdings alles andere als spöttisch oder satirisch. Das Amusement über das Gebaren am Élysée-Hof weicht bitterem Sarkasmus, wenn die aufstrebende Mademoiselle Montretout (Marine Le Pen) auftritt und sich in Szene setzt. Zum Schluss bleibt nur noch sauerster Essig angesichts all der Crétins (Terroristen), die die Mandatshälfte noch unglücklicher enden lassen, als sie begonnen hatte. (Stefan Brändle aus Paris, 8.2.2016)