Wien – In den von den Terrororganisationen kontrollierten syrischen Gebieten muss es mittlerweile von Sanitätern und Krankenschwestern wimmeln. Zumindest, wenn man den Angeklagten in diversen Prozessen glaubt. Wenn ihnen vorgeworfen wird, sie hätten nach Syrien fahren wollen, lautet die Verantwortung der Angeklagten praktisch immer, es hätte sich um einen humanitären Einsatz handeln sollen.

Der Schöffenprozess unter Vorsitz von Daniela Zwangsleitner, bei dem Giorgi G. und Melek Y. auf der Anklagebank sitzen, ist ein wenig anders. Denn die Version, man möchte sich im Konfliktgebiet lediglich um Verletzte kümmern, soll die 17-Jährige Y. nur ihrer Familie erzählt haben. Vor Gericht beteuern Y. und ihr Lebensgefährte – nach islamischem Recht sogar Ehemann – G., dass sie lediglich in der Türkei ein neues Leben beginnen wollten.

Ängstliche Zeugin

Am zweiten Prozesstag waren die Verwandten der beiden an der Reihe. Zunächst sorgt die Cousine der Angeklagten für eine ziemliche Verzögerung. Die Ärztin hat Angst vor den Angeklagten und den Medien, will einen Ausschluss der Öffentlichkeit erreichen, was Zwangsleitner ablehnt.

Mit den Verwandten hatte sie nicht so engen Kontakt, sagt sie, den 25-jährigen Angeklagten habe sie überhaupt nur einmal gesehen. Der wichtigste Beitrag für den Prozess ist die Erinnerung an ein Telefonat mit Y.s Vater. "Die Gurke will jetzt nach Istanbul und dort leben!", soll er über seine minderjährige Tochter gesagt haben.

Dass sie schon im Herbst 2014 erfahren habe, dass G. bereits in Pakistan und Afghanistan für Al-Kaida gekämpft hat, bestreitet die Zeugin.

Anzeige durch Schwester

Das behauptet wiederum die Schwester der Angeklagten. Während Letztere verschleiert ist, kommt Leyla Y. in Jeans und mit lackierten Fingernägeln. Sie ist es auch, die die Sache ins Rollen gebracht hat.

Die 22-Jährige erzählt, bereits damals habe der 25 Jahre alte Konvertit gestanden, er sei Schauspieler gewesen, habe dann aber keine Aufträge mehr gehabt und von Oktober 2011 bis August 2013 im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan für Al-Kaida gekämpft.

Seltsamerweise sagt der Vater der Angeklagten aber, G. habe ihm das erst zwei Wochen vor dem geplanten Aufbruch Richtung Syrien im Frühjahr 2015 gesagt. Die Mutter wiederum ist sich unsicher.

Die Schwester der Angeklagten schildert auch, sie sei schon vorher zu einer Polizeiinspektion in Wien-Brigittenau gegangen, um ihren Terrorverdacht anzuzeigen, dort sei man aber völlig desinteressiert gewesen und habe sie weggeschickt.

Widersprüchliche Aussagen

Widersprüchlich sind auch die Aussagen, wie die Familie auf G.s Geständnis reagiert hat. Die Schwester der Angeklagten sagt, es sei gestritten worden, die Eltern sagen, es sei alles ruhig geblieben.

Allerdings kann die Schwester auch den schlagendsten Beweis für die von Stefanie Schön vertretene Anklage bieten: Sie hat ein Telefonat mit der Angeklagten mitgeschnitten, wobei folgender Dialog zwischen ihr und der Angeklagten dokumentiert ist: "Er hat gesagt, er war schon im Krieg!" – "Und? Der Prophet war auch im Krieg." – "Trotzdem, er war im Krieg!" – "Ja und?"

Die beiden Angeklagten sollen der Familie zunächst auch von ihrem Wunschziel Haram, einer syrischen Stadt an der Grenze zur Türkei, erzählt haben. Die sei friedlich, und man könne dort nach islamischen Regeln leben.

Vollbart abrasiert

Nachdem der Vater des Teenagers gesagt hat, dass man das auch in der Türkei könne, wollen sie ihren Plan geändert und sich mit diesem Land zufriedengegeben haben. Warum G., nach eigenen Angaben strenggläubig und auch in den neun Monaten Untersuchungshaft Missionierender, sich dann vor der Reise seinen – mittlerweile nachgewachsenen – Vollbart abrasiert hat, bleibt offen.

Die Verteidiger Wolfgang Berndt und Christine Wolf fordern in den Schlussplädoyers Freisprüche für ihre Mandanten, da sie lediglich von den Verwandten belastet werden. Und die hätten schlicht etwas gegen die Beziehung gehabt.

Der Senat sieht das anders und verurteilt G. nicht rechtskräftig zu 22 Monaten Haft, Y. kommt mit 14 Monaten bedingt davon. Zusätzlich erhält sie Bewährungshilfe, muss sich beim Arbeitsamt melden und noch drei Monate in einer betreuten Wohngemeinschaft leben. Vom Vorwurf, auch in Afghanistan gekämpft zu haben, wird G. dagegen freigesprochen. (Michael Möseneder, 9.2.2016)