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Der Autor Roger Willemsen wurde 60 Jahre alt.

Foto: AP/KAI-UWE KNOTH

Wien – Ein Schöngeist und Mann der schönsten Worte. Gestochen war die Diktion, wenn er die Welt erklärte. Nicht von oben herab, sondern von mittendrin heraus, aus der Anschauung. Roger Willemsen war ein Bildungsbürger ohne Zeigefinger, ein Weltensammler, Intellektueller und Humanist, wie es sie nicht oft gibt.

Er hatte seinen Goethe und Foucault gelesen, aber das Erleben war die Grundlage all seiner Bücher. Ob es um den sterbenden Jungen oder die aidskranke Kinderprostituierte in Indien ("Die Enden der Welt"), Ladyboys in Bangkok ("Bangkok Noir") oder Kriegsgebeutelte in Afghanistan ("Afghanische Reise") ging, um Gefangene in Guantánamo ("Hier spricht Guantánamo") oder Politiker im deutschen Bundestag ("Das Hohe Haus"): In seinen Reiseberichten, Essays und Interviews war der Beobachter Willemsen ein Wanderer zwischen den Welten.

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Seinen Sitz hatte er in Hamburg, geboren aber wurde er 1955 in Bonn als Sohn einer Kennerin ostasiatischer Kunst und eines Kunsthistorikers, der starb, als Roger 15 war. Die Studien der Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte führten ihn nach Florenz, München und Wien. Daneben arbeitete er erst als Nachtwächter und Reiseleiter, später als Übersetzer, Autor und Herausgeber. Privat blieb Willemsen ledig. Seine Form von Treue sei, nicht mit zwei Frauen dasselbe zu tun, erklärte der Feinsinnige einmal.

Zum Fernsehen kam er 1991, wo er auf Premiere 600 Folgen der Talksendung 0137 moderierte. 1993 erhielt er dafür den Grimme-Preis. Ein Ritterschlag, dem 1994 der Wechsel zum ZDF ("Willemsens Woche", "Willemsens Zeitgenossen") folgte. "Intelligente, wenn nicht gar intellektuelle Unterhaltung", lobte die FAZ seine ungewöhnliche Gesprächsführung. "Genau zu sein", das war sein Anspruch, nicht langweilig oder humorlos. In seinem Selbstverständnis war er "Agent der Zuschauer", aber immer pietätvoll. Wahrhaftig, nicht vereinfacht. Ein Minderheitenprogramm im Massenmedium.

Dann zog sich der auch als Gast überall gern Gesehene vom Bildschirm weitgehend zurück, eroberte die Bühnen. "Mehr als einmal im Monat möchte ich in der Glotze lieber nicht erscheinen", erklärte er, und hatte ja auch genug anderes zu tun – als Regisseur von Dokumentarfilmen, kulturkritischer Essayist des deutschen Feuilletons und Schriftsteller.

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Egal ob Jassir Arafat, Vivienne Westwood, Pierre Boulez oder Madonna – Willemsen mischte Boulevard und Politik, Populärkultur und Geist so leichthändig wie sonst keiner. Immer spürbar blieb dabei die treibende Kraft hinter seiner Arbeit: den Menschen nahe zu kommen, von ihnen zu lernen, hinter die Oberfläche zu schauen. Auf die Rückseite des Lebens, wo die Farben verschießen. Idealist, der er war, war er auch sozial engagiert, etwa seit 2006 als Schirmherr des Afghanischen Frauenvereins.

Das Unterwegssein ist ihm bis zum Ende geblieben, ebenso die Neugier und die offenen Augen für den Kosmos im Kleinen. Als er im vergangenen August kurz nach seinem 60. Geburtstag seine Krebsdiagnose erhielt und publik machte, zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück. Am Sonntag ist Roger Willemsen in seinem Haus in Wentorf bei Hamburg gestorben. (Michael Wurmitzer, 8.2.2016)