In Absprache des Bundes mit den Ländern kamen die bosnischen Flüchtlinge ab 1992 privat sowie in öffentlichen Einrichtungen unter. Hier Kinder Vertriebener in einem vorübergehenden Quartier im Wiener Universitätssportzentrum.

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Wien/Straßburg – Viel Wissen über die Lage im Kriegsgebiet, unter anderem beim Heeresnachrichtenamt, sowie "der politische Wille, die Vertriebenen aufzunehmen": Das habe von 1992 bis 1998 zum Gelingen der sogenannten De-facto-Aktionen für vorübergehenden Schutz von Flüchtlingen aus dem Bosnienkrieg beigetragen, erläutert Heide-Marie Fenzl-Stachel im Standard-Gespräch.

1992 seien in Österreich nach Vertreibungen zunehmend Jugoslawen eingereist, meist Angehörige bereits hier lebender Menschen. Bis Frühherbst seien insgesamt 80.000 Menschen angekommen, schildert die damalige Leiterin des Bereiches Integration und Migration im Innenministerium, die später unter Minister Ernst Strasser (ÖVP) rasch pensioniert werden sollte.

Gegen Überlastung des Asylsytems

Militärexperten seien 1992 davon ausgegangen, dass der Bosnienkrieg "bis zu zehn Jahre dauern" könne; tatsächlich kehrte bereits 1995 mit dem Dayton-Abkommen Frieden ein. Also habe man nach Wegen gesucht, um das Asylsystem vor Überlastung zu bewahren – und sich auf Grundlage von Parteienabkommen und Bund-Länder-NGO-Rahmenverträgen für temporären Verbleib, Quartierbereitstellung und finanzielle Unterstützung der Vertriebenen entschieden.

In der Folge wurde der befristete Schutz für Menschen aus bestimmten Herkunftsregionen immer wieder verlängert und ihnen Möglichkeiten zum Umstieg ins normale Aufenthaltsregime eröffnet. Von den insgesamt rund 90.000 Angekommenen blieben letztlich rund 60.000 – obwohl sich der Staat die Option erhalten hatte, den Schutz bei Beendigung des Krieges wieder aufzuheben.

"Alles in allem waren die De-facto-Aktionen in Österreich Erfolgsstorys" , kommentiert Herbert Langthaler von der Asylkoordination. Die – heute – österreichische Filmregisseurin Nina Kusturica, die als 17-Jährige mit ihren Eltern aus Sarajewo nach Österreich floh, sieht das ein wenig anders.

Schwieriger Existenzaufbau

Vom Stellen eines Asylantrags sei ihren Eltern abgeraten worden, im Unterschied zu asylpositiv beschiedenen Flüchtlingen habe ihre Familie als vorübergehend Geschützte jahrelang keinen Arbeitsmarktzugang gehabt, erzählt sie: "Der Aufbau einer Existenz wurde uns recht schwer gemacht." Nun hatte sich während der Ex-Jugoslawienkriege nicht nur Österreich für temporären Schutz der Vertriebenen entschieden, sondern etwa auch Deutschland, die Schweiz, die Niederlande und Norwegen. Auf EU-Ebene – wo die Uneinigkeit der Nationalstaaten vergleichbar hinderlich wie jetzt war – kam es in der Folge zu Verhandlungen für ein in der Union anwendbares Modell.

2001, nach abstrichreichen Verhandlungen, wurde die "Richtlinie über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms Vertriebener" beschlossen. Angewandt wurde sie seither nie. Dabei wäre sie gerade in der aktuellen Situation eines Massenzustroms von – auch – Kriegsflüchtlingen aus Syrien und dem Irak hilfreich, meint Hannes Tretter, Leiter des Wiener Forschungszentrums Menschenrechte.

"Angst vor dem Boulervard"

Dass die Richtlinie bisher nicht aktiviert wurde, "verdankt sich dem Widerstand einzelner Mitgliedstaaten – ein weiterer Auswuchs fehlender Solidarität in der EU", meint dazu die grüne Vizepräsidentin des Europaparlaments, Ulrike Lunacek. Ein Parlamentsinsider wird konkreter: "Allein schon, dass im Richtlinien-Namen 'Massenzustrom' vorkommt, schürt die Angst vor Rechten und dem Boulevard." (Irene Brickner, 9.2.2016)