Thomas Fatzinek:
Als die Nacht begann

Bahoe Books, Wien 2016
60 Seiten, 9,80 Euro

Fatzinek

Als Oskar am Morgen des 12. Februar 1934 zur Arbeit aufbricht, ahnt er noch nicht, was sich im Lauf des Tages abspielen wird. "...und streit nicht wieder mit deinen Vorgesetzten!", ruft ihm die Mutter auf dem Treppenabsatz noch nach.

Oskar, der Protagonist der Comic-Novelle "Als die Nacht begann" von Thomas Fatzinek, wird sich nicht mit seinen Chefs anlegen. Bei den Wiener Verkehrsbetrieben, wo er arbeitet, sind es die eigenen Leute, Gewerkschafter und Betriebsräte, die zu vertuschen versuchen, dass bereits Teile der Arbeiterschaft dem Aufruf zum Generalstreik folgen. Doch es spricht sich auch so schnell herum, dass in Linz schon gekämpft wird.

In Linz hatten sich am Morgen des 12. Februar Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes rund um Richard Bernaschek erfolgreich gegen die von Dollfuß befohlene Entwaffnung der Sozialdemokraten gewehrt, und hielten die Parteizentrale im Hotel Schiff besetzt. Von Linz aus griff der Februaraufstand dann auf Wien und andere Städte über. Tagelange Kämpfe zwischen Schutzbündlern auf der einen Seite und der Heimwehr bzw. den Organen der austrofaschistischen Regierung auf der anderen Seite folgten.

Fatzinek

Oskar – eine fiktive Figur – ist knapp über 20 Jahre, als die Februarkämpfe ausbrechen. Ungefähr genauso alt war Thomas Fatzinek, als er auf das Thema "1934" stieß. "In meiner Jugend hat niemand gewusst, was der Begriff Austrofaschismus bedeutet", sagt der 1965 in Linz geborene Comic-Autor. Erst als Fatzinek später als Altenbetreuer bei einem Zeitzeugenprojekt über den Februar 1934 mitmachen sollte, habe er von dem Aufstand erfahren, erzählt er. Der Blitz-Bürgerkrieg wurde in Österreich – wie große Teile der Nazi-Vergangenheit an sich – bis weit in die 1980er-Jahre komplett ausgeblendet.

Dass er den Februar 1934 in einem Comic verarbeiten wollte, war Fatzinek klar, seit er Art Spiegelmans bahnbrechendes Werk "Maus" über den Holocaust gelesen hatte. "Ich habe gesehen, dass es möglich ist, auch solche Themen in Comic-Form zu behandeln. Das war vorher nicht denkbar", sagt Fatzinek. Um richtig zeichnen zu lernen, ging der gelernte Lithograph auf die Kunstgewerbeschule in Wien, mit Schwerpunkt Druckgrafik.

Comics über Anarchisten und Auschwitz

Die Technik des Linolschnitts, ein klassisches Stilmittel politischer Plakate und Flugblätter, passte perfekt zu der Geschichte, die ihm vorschwebte. "Als die Nacht begann" erschien schließlich erstmals 2004 still und heimlich im Eigenverlag. So wie zwei weitere Comics, die dem Antifaschismus verschrieben sind: "Eine alte Geschichte" über den US-Justizmord an den italienischen Anarchisten Sacco und Vanzetti (2006) und "Notizen zu Hermann Langbein" über den Widerstand in Auschwitz (2009).

Fatzinek

Zwar wurden seine Bilder immer wieder ausgestellt, von Verlagen erntete er aber nur niederschmetternde Reaktionen: "Von ,unverkäuflich‘ bis ,seltsam gezeichnet‘ habe ich vieles gehört. Bis ich aufgegeben habe", erzählt Fatzinek. Die Ignoranz hätte weniger mit den politischen Inhalten zu tun gehabt als vielmehr mit dem allgemeinen Desinteresse an Comics in Österreich, meint er. Nach wie vor gibt es so gut wie keine österreichischen Verlage, die Comics drucken.

Nun hat der linke Wiener Kleinverlag Bahoe Books "Als die Nacht begann" anlässlich des – wenn auch unrunden – Jahrestags der Februarkämpfe neu aufgelegt. Und damit ein kleines Juwel aus der Versenkung geholt.

Die Vorgeschichte des Aufstands

In starken Schwarz-Weiß-Bildern schildert Fatzinek aus der Sicht des Arbeiterkindes Oskar zunächst die Vorgeschichte der Februaraufstände: Wie der Justizpalastbrand 1927, währenddessen das Feuer auf Demonstranten eröffnet wurde, die politische Meinungsbildung des jungen Mannes prägte. Die Auseinandersetzungen mit dem Vater, der die zurückhaltende sozialistische Parteiführung verteidigte, während viele in der Basis fanden, es müsse endlich was getan werden gegen die Gewaltakte vonseiten der Heimwehren, die immer deutlicher Machtansprüche stellten. Bis hin zum Aufstieg Hitlers zum Reichskanzler in Deutschland und der Ausschaltung des österreichischen Parlaments und das Verbot von Schutzbund und KPÖ durch Dollfuß.

Fatzinek

Mittendrin verliebt sich Oskar in Emma, die bei der KPÖ ist. Beide stellen sich im Karl-Marx-Hof den Gefechten mit Heimwehr und Bundesheer, die mit schweren Geschützen auffahren, während den Schutzbündlern die Waffen ausgehen. Fatzinek macht das Dilemma der Aufständischen ohne große Dramatisierung deutlich. Da die Revolte nicht zentral unterstützt und gesteuert wird, herrschen chaotische Zustände. Die Kampfhandlungen werden immer unkontrollierter, der Streik hält nicht und eine immer drückendere Stimmung breitet sich aus. Bis die faschistischen Kräfte nach wenigen Tagen den letzten Widerstand gebrochen haben – und die metaphorische Nacht über Österreich hereinbricht.

Dabei schnitzt Fatzinek die historisch einschneidenden Ereignisse mit so einer Leichtigkeit ins Linoleum, dass trotz der harten Konturen, trotz des unbarmherzigen Schwarz-Weiß-Kontrastes die Formen weich bleiben. Großformatige Schauplätze wechseln mit Nahaufnahmen, ins Abstrakte schweifende Bilder von Kanonenfeuer stehen neben mandeläugigen Gesichtern, deren minimale Mimik maximalen Ausdruck erzeugt.

Frust statt Geld und Ruhm

Etwa zweieinhalb Jahre recherchierte Fatzinek Fakten und Zeitzeugenberichte und fertigte den Linolschnitt. Die aufwändige, dem Holzschnitt ähnliche Technik ist selten im Comic – berühmte Vertreter der Tradition sind Frans Masereel oder Eric Drooker. Thomas Fatzinek haben seine Bücher bis jetzt weder Geld noch Ruhm eingebracht, nur Frust.

"Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich ein Comic-Zeichner bin, oder doch ein arbeitsloser Hilfsarbeiter, wie mich das Arbeitsamt bezeichnet", sagt Fatzinek. Zwischendurch hat er sich etwa als Häftlingsbetreuer, Lagerarbeiter, Spengler, Briefträger und Zugfahrer im Zoo Schönbrunn verdingt. Heute lebt er von der Notstandshilfe.

Fatzinek

Untätig ist er deshalb keineswegs. Er hat drei weitere Comic-Bücher verfasst, allerdings ohne sie selbst zu veröffentlichen bzw. sich die Mühe der Verlagssuche zu machen. Eines handelt von Schani Breitwieser, dem "Robin Hood von Meidling", eines von den PartisanInnen im Salzkammergut und eines von der jüdischen Schauspielerin und Schriftstellerin Lili Grün. Derzeit arbeitet er an einem Buch über jüdische Partisanen in Litauen.

Woher kommt der Hang zum Unterdog, der Drang, mutige Menschen aus dem Schatten der Geschichte ans Licht zu holen? "Eigentlich hab ich immer vor, was Lustiges oder einen Krimi zu machen. Doch dann kommt mir wieder eine G'schicht unter, die zu wichtig ist, als dass sie verloren geht."

Dass erstmals ein Verlag an ihn herangetreten ist, gibt ihm neuen Antrieb. Weitere Veröffentlichungen bei Bahoe Books sind in Planung. Vielleicht gelingt es ihm aber auch, auf der neuen deutsche Welle an historischen Graphic Novels mitzureiten – ein Trend, dem Fatzinek lang voraus war. Wie auch immer, fügt der "Gschichtldrucker" mit einem Augenzwinkern hinzu: "Spätestens posthum kommt's retour." So wie bei vielen Widerstandskämpfern, die erst lange nach ihrem Tod rehabilitiert wurden. (Karin Krichmayr, 12.2.2016)