Zürich – Forscher der Universität Zürich sind Zeugen eines brutalen Gewaltakts unter Borneo-Orang-Utans geworden. Ein Weibchen animierte ein Männchen dazu, durch gemeinsame Schläge und Bisse ein anderes Weibchen zu töten. Ein solches Verhalten sei bei diesen Menschenaffen noch nie beobachtet worden, berichten die Biologen in "Behavioral Ecology and Sociobiology". Das werfe ein neues Licht auf das Sozialverhalten der Tiere.
Aggressives Verhalten von Menschenaffen ist durchaus bekannt: So attackieren etwa Schimpansen ihre Rivalen (auch in der Gruppe), oder machen Jagd auf andere Affenspezies. Tödliche Handlungen zwischen Menschenaffenweibchen sind jedoch äußerst selten, bei Orang-Utans wurden sie überhaupt noch nie gesehen. Umso überraschter waren die Forscher um Anna Marzec, als sie Zeugen eines solchen Vorfalls im Sumpfwald des Mawas Naturparks in Indonesien wurden.
Paarung unterbrochen
Demnach war ein junges Weibchen, das kurz zuvor ihr Junges verloren hatte, gerade dabei, sich mit einem Männchen zu paaren. Doch plötzlich unterbrach sie den Akt, um sich gegen ein älteres Weibchen zu wenden. Sie biss und schlug ihre Artgenossin heftig, bald beteiligte sich auch das Männchen an den Angriffen. Gemeinsam malträtierten sie das ältere Weibchen etwa eine halbe Stunde lang so schwer, bis ihr ein weiteres Männchen zu Hilfe kam. Doch es war zu spät: Zwei Wochen später starb das Tier. Die schwersten Verletzungen stammten von den scharfen Eckzähnen des Männchens.
"Bisher war nicht bekannt, dass Orang-Utan-Männchen und Weibchen solche Koalitionen eingehen", sagte Marzec. Auseinandersetzungen unter Orang-Utan-Weibchen würden eigentlich selten vorkommen: In mehr als zehn Jahren haben Marzec und Kollegen nur sechs aggressive Auseinandersetzungen zwischen Weibchen im Mawas Naturpark beobachtet – keine davon führte zu Verletzungen.
Einflussreiche Weibchen
Dass das jüngere Weibchen zuvor ihr Kind verloren hatte, könnte bei dem Gewaltakt eine Rolle gespielt haben. Und doch ist es höchst außergewöhnlich: "Das ist völlig unerwartet, weil bei wilden Orang-Utans noch nie zuvor Koalitionen von Männchen und Weibchen beobachtet wurden", sagt Marzec. "Es ist der erste Fall, bei dem ein männlicher Orang-Utan ein Weibchen bei einem Konflikt mit tödlichen Ausgang unterstützt."
Die Forscher vermuten, dass weibliche Orang-Utans in ihrer sexuell aktiven Phase einen unerwartet großen Einfluss auf Männchen haben. "Sie bringen die Männchen dazu, ihnen Dienste zu leisten – und das bei einer Art, die bisher eigentlich für männliche Dominanz bei der Fortpflanzung bekannt war", so die Forscherin. (red, APA, 9. 2. 2016)